Die Verfasser beklagen einen Stillstand in der Bildungspolitik. Das lässt aufhorchen. Haben wir nach dem PISA-Schock nicht eine bildungspolitische Hyperaktivität erlebt? Früheinschulung, Schulzeitverkürzung, zentrale Prüfungen, Kompetenzinflationen, Abschaffung der Hauptschule, Abschaffung der Grundschulempfehlungen und – ohne an die finanziellen Folgen zu denken – die Inklusion.
Man ruderte teilweise zurück: von G 8 wieder zu G 9 und bitte doch lieber keine fünfjährigen Schüler. Dabei wäre Stillstand im Sinne von Rückbesinnung auf das, was Schule eigentlich im Interesse der Schüler und damit der Zukunft sein sollte, nur wünschenswert. Der Staat sollte in seinen Schulen die Pädagogen ernst nehmen, Schulautonomie gewähren. Doch für die genannten Stiftungen ist das kein Thema.
Kritisiert wird der Föderalismus, weil er jede Menge Abstimmungsprobleme verursache, die man sich ersparen könne. Dabei wird übersehen, dass teils sehr unterschiedlich ausgerichtete Länder auch für jede Menge Pluralität sorgen. Wäre es zur Wahrung der Pluralität nicht naheliegend vorzuschlagen: Was in einem Bundesland z.B. als Schulabschluss gilt, wird automatisch in allen anderen als gleichwertig anerkannt. Was schlagen die neoliberal orientierten Stiftungen stattdessen vor? »Einheitliche Ziele setzen und konzeptionelle Lücken füllen – für eine entideologisierte Bildungspolitik«, was nichts anderes bedeutet, als den föderal bedingten Pluralismus abzuschaffen. Die Formel »entideologisierte Bildungspolitik« ist medial gut gewählt. Doch in Wahrheit handelt es sich um den Ersatz bestehender politischer Ideologien durch diejenige der genannten Stiftungen. Denn sie wollen in Deutschland einen von den Parteien unabhängigen Nationalen Bildungsrat etablieren und der soll verbindliche Empfehlungen aussprechen.
Verbindlich heißt: Für alle 16 Bundesländer soll das Gleiche gelten. Von diesem Nationalen Bildungsrat wird erwartet, »fundierte Empfehlungen, insbesondere zu einer normativen Zielbestimmung und -präzisierung sowie Definition einheitlicher Qualitätsstandards für alle relevanten Aspekte von Bildung im Lebensverlauf« zu geben. Legen wir also die Hände in den Schoß und lassen eine Handvoll Spezialisten unsere komplette Bildungsbiographie bestimmen, und zwar normativ. Da bedarf es der Parlamente nur noch zur Umsetzung dieser Normen. Eltern und Pädagogen sollen sich in Schweigen hüllen und exekutieren, was die nicht parlamentarisch kontrollierten Normgeber verkünden. Die vermeintlich entideologisierte Bildungspolitik entpuppt sich als Bildungsdiktatur in Reinform.
Stiftungen haben bei der Mittelvergabe bestimmte Methoden, die offenbar werden, wenn die Gretchenfrage an sie gestellt wird: Gebt ihr Schenkungsgeld oder politisiertes Geld? Verhelft ihr sozialen Ideen anderer zur Umsetzung oder wollt ihr andere zur Umsetzung eurer Ideen bringen? Weil der Staat spart und die Stiftungen viel Geld haben, ist die Verlockung, solches Geld zu den genannten Bedingungen anzunehmen, groß.
Zum Autor: Dr. Albrecht Hüttig, Freie Hochschule Stuttgart, Bundesvorstand