Der Berg ruft. Klettersport an der Waldorfschule Cottbus

Manuela Peter

Wer in Cottbus hoch hinaus will, muss sich also schon was einfallen lassen – so wie Jens Brand. Motiviert von seiner Kletterleidenschaft baute er im Jahr 1994 seinen ersten Kunstfelsen und gründete die »build a rock GmbH«. Aus der Idee wurde eine Erfolgsgeschichte. Aufträge aus ganz Deutschland folgten.

Inzwischen baut Jens Brand mit seinem kreativen Team nicht mehr nur Kletterfelsen. Sein Repertoire umfasst auch erlebnispädagogische Angebote und die Anfertigung individuell gestalteter Skulpturen, Strukturen, Spielhäuser- und Höhlen. Auf seinem Bauhof im Cottbuser Norden lädt alles zum Klettern, Entdecken und Anfassen ein. Sein Anspruch ist es, »benutzbare Kunst« zu erschaffen und »Kinder zum Klettern zu verführen«.

Eines seiner neuesten Projekte ist ein Kletterfelsen auf dem Schulhof der Cottbuser Waldorfschule. Als ehemaliges Elternteil ist Jens Brand der Schule sehr verbunden und hat hier bereits einen Kletterhügel mit Felsenbühne und einen Minifelsen erbaut. In den Pausen geht es lebhaft zu und die Heranwachsenden erobern begeistert ihre Abenteuerlandschaft. Da liegt der Gedanke nah, dem Entdeckungs- und Bewegungsdrang neue Anreize zu bieten und den Klettersport an der Schule weiter auszubauen. Kletterwände für die schuleigene Kletter-AG gibt es immerhin schon in der Turnhalle und im Hort. Die Anzahl der Routen und deren Schwierigkeitsgrad ist aber begrenzt. Geplant ist daher der Bau eines bis zu zehn Meter hohen Kletterfelsens. Im unteren Bereich, bis zu einer Höhe von etwa drei Metern, sollen die Schüler den Kletterturm in den Pausen selbstständig erkunden können. Der obere Bereich soll nur durch die AG beklettert werden. Dies soll durch einen Sicherheitsbereich gewährleistet werden.

Höchste Konzentration und Achtsamkeit gefordert

Die Erkenntnis, dass Bewegung nicht nur gut für den Körper, sondern auch für die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung ist, konnte sich in den letzten Jahren immer mehr durchsetzen. In zahlreichen Schulen gibt es daher schon verschiedenste Bewegungskonzepte. Speziell der Klettersport bringt jedoch besondere Herausforderungen mit sich. Er umfasst die Freude am Entdecken und der Bewegung einerseits, ist aber auch eine Begegnung mit den eigenen Ängsten und Grenzen andererseits.

Diese Erlebnisse gehen mit intensiven Gefühlen einher. Sie sind wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung und können die Pädagogik wunderbar ergänzen.

Dass dies nicht nur ein neumodischer Gedanke ist, wird deutlich, wenn man sich die Geschichte der Erlebnispädagogik ansieht. So gelten bereits Platon und Aristoteles als ihre antiken Vordenker. Ihre neuzeitlichen Begründer sind wiederum Philosophen wie Jean-Jaques Rousseau, Henry David Thoreau oder der Offizier Robert Baden-Powell, der Gründer der Pfadfinderbewegung. Sie alle eint der Anspruch, dem starren Bildungssystem der vergangenen Jahrhunderte und seiner Fokussierung auf die kognitive Leistungsfähigkeit etwas entgegenzusetzen und eine Pädagogik zu schaffen, die den ganzen Menschen anspricht, ihn und damit auch die Gesellschaft heilt und vervollkommnet. Tatsächlich zeigen zahlreiche Studien, dass erlebnispädagogische Initiativen mit einer Stärkung der Persönlichkeit, der psychischen Gesundheit und des Gemeinschaftsgefühls einhergehen.

Schule außerhalb des Klassenraums

Der Klettersport an der Waldorfschule Cottbus setzt bei diesem Gedanken an. Der Kletterfelsen soll daher nicht nur ein Treffpunkt und zentraler Platz auf dem Schulhof werden, wo die Heranwachsenden Spiel- und Rückzugsmöglichkeiten finden können. Er soll auch ein Element werden, das die Pädagogik mehr nach draußen holt – eine Schule außerhalb des Klassenraums. Der Klettersport lehrt die Heranwachsenden schließlich eine ganze Reihe wichtiger Fähigkeiten für Körper, Geist und Sozialverhalten: Klettern beansprucht den ganzen Körper, macht ihn stabiler und kräftiger, Körperbewusstsein und Koordinationsfähigkeit werden gefördert. Klettern erfordert Disziplin und Ausdauer, auch Konzentrationsfähigkeit und Selbstwahrnehmung steigen. Gerade beim Seilklettern bietet die Gruppe zusätzliche Unterstützung. Wo man selbst nicht weiterkommt, steht sie hilfreich zur Seite und den Blick vom Gipfel genießt man am besten gemeinsam. »Klettern gibt Halt, verbindet und schafft Freundschaften«, betont Mathias Heyn, Leiter der Kletter-AG.

Als Waldorfschule verbindet uns mit der Erlebnispädagogik der Anspruch, die Heranwachsenden ganzheitlich zu fördern, sie in ihren personalen und sozialen Fähigkeiten bestmöglich zu stärken und ihnen einen bewussten Umgang mit sich selbst, der Gemeinschaft und der Natur beizubringen. Der Kletterfelsen an unserer Schule ist daher ein weiterer Schritt auf dem Weg von einer »Sitzpädagogik« hin zu einem bewegten Lernen, das Körper, Geist und Emotionen erfasst.

Zur Autorin: Manuela Peter ist Sozial- und Kulturwissenschaftlerin und arbeitet in der Verwaltung der Waldorfschule Cottbus.

Literatur: M. Mutz, J. Müller: Zur Wirkungsweise abenteuer- und erlebnis­pädagogischer Jugendfreizeiten, Gießen 2020


Waldorfschulen, die ihre pädagogischen Möglichkeiten erweitern oder neue Akzente setzen wollen, möchten wir herzlich zu einem Workshop an unserer Schule einladen.

Der Workshop findet vom 16. bis 17. April 2021 statt.

In lockerer Runde wollen wir allen Interessierten den Klettersport näherbringen und aufzeigen, wie er in die pädagogische Arbeit integriert werden kann. Wir werden uns gemeinsam den Bauhof von Jens Brand ansehen und die Klettermöglichkeiten vor Ort nutzen, denn die Theorie ohne das unmittelbare Erlebnis hilft wenig. Wer interessiert ist, kann sich bis einschließlich Freitag, den 26. März 2021, bei uns anmelden. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es an unserer Schule.

Ansprechpartner ist Franziska Günther, Telefon: 0355/473242, E-Mail: f.guenther@waldorf-cottbus.de