Der Tag ist gerettet. Neuer Stundenplan an der Waldorfschule Klagenfurt

Caroline Weberhofer

Schläfrige, unaufmerksame Schüler, Leistungsknicks und biorhythmische Schwächen sind denkbar ungünstige Voraussetzungen für nachhaltiges Lernen. Die Waldorfpädagogik legt ein besonderes Gewicht auf die Nachhaltigkeit der kindlichen Entwicklungsprozesse, indem sie die alterstypische und individuelle Entwicklung der Schüler unterstützt und ihre seelische und körperliche Gesundheit fördert. 2009 gab der Chronobiologe Max Moser mit einem Vortrag an der Waldorfschule Klagenfurt den Anstoß zu einem ehrgeizigen Plan: Der Schulalltag sollte entschleunigt und die Unterrichtszeiten und Pausen sollten noch stärker an einen gesunden Lebensrhythmus angepasst werden. Die umgehend ins Leben gerufene Rhythmusgruppe plante eine ganze Reihe von Erleichterungen:

  • Unterrichtsbeginn um 8.30 Uhr (früher: 7.45 Uhr)
  • Neuorganisation des Stundenplans zu einem rhythmischen Stundenplan für alle Klassen und gleichen Anfangs-(8.30 Uhr) und Endzeiten (15.00 Uhr) aller Schüler der Klassen 5 – 12.
  • Umgestaltung des Pausenrhythmus im Einklang mit den Erkenntnissen der Chronobiologie (v.a. längere Pausen)
  • Angebot eines warmen Mittagessens
  • Hort- und Lernbetreuung bis 16 Uhr
  • Erweiterung des altersstufen- und klassenübergreifenden  Unterrichts.

Das Projekt startete im Schuljahr 2010/2011 zunächst in der Unterstufe: Schulbeginn um 8.30 Uhr, eine völlig neuartige, an die Bedürfnisse der Schüler angepasste Zeit- und Pausenstruktur sowie ein täglich gleichbleibendes Unterrichtsende. Konzipiert und umgesetzt wurden die Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit Ärzten und Chronobiologen.

Parallel zur Einführung des kräftigenden, lernfördernden Rhythmus wurde die nachmittägliche Hortbetreuung ausgeweitet. Für Familien, deren Kinder morgens bereits zur bisher gewohnten Schulzeit ankommen, wurde ein Morgenhort eingerichtet, in dem die Schüler in entspannter Atmosphäre ihren Tag beginnen und im Schulgeschehen ankommen können.

Nach dem Pilotversuch wurde der neue Schulrhythmus im Schuljahr 2011/12 auf die Mittel- und Oberstufe ausgeweitet.

»Die Effekte sind absolut positiv«, sagt Dagmar Janjuz, Klassenlehrerin an der Schule: »Konzentration und Merkfähigkeit der Schüler haben sich wesentlich verbessert, das Arbeitsklima ist entspannter und konstruktiver und durch die regelmäßigen Endzeiten des Unterrichts ist der Rhythmus für die Eltern berechenbarer geworden.« Der neue Schulrhythmus wirkte sich auch positiv auf das Familienleben aus. Eltern berichten, dass ihr Tag jetzt deutlich entspannter beginnt. Die Schüler der ersten vier Klassen haben fünf Stunden täglich, die höheren Klassen bis 15.00 Uhr Unterricht. Ausnahme ist der Mittwoch, da endet die Schule für alle um spätestens 13.00 Uhr. Von 12.00 bis 16.00 Uhr sind die Kinder auf Wunsch im Hort untergebracht. In der Mittagspause haben alle Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit, gemeinsam ein warmes Mittagessen einzunehmen. Für gesundes Wachstum und gutes Gelingen brauchen Kinder und Jugendliche auch einen gesunden Lernrhythmus, der Aufmerksamkeitsspannen, Erholungsbedürfnisse und Schwankungen im Biorhythmus berücksichtigt. Dagmar Janjuz: »Lernen soll nicht erschöpfen, sondern bereichern. Dem haben wir bisher bereits mit dem bewegten Klassenzimmer und dem Epochenunterricht Rechnung getragen. Da war es nur folgerichtig, die Kinder und Jugendlichen auch hinsichtlich der Unterrichtszeiten kräftigend zu unterstützen.«

KOMP.akt – klassenübergreifender Unterricht

Parallel führte die Schule den klassen- und altersstufenübergreifenden Unterricht ein. Es wurde beispielsweise für die 5. bis 12. Schulstufe eine wöchentliche Unterrichtseinheit geschaffen, die unter dem Titel KOMP.akt (Kompetenz.aktiv) die Schüler dabei unterstützen soll, sich beim Wissens- und Kompetenzerwerb intensiver auszutauschen und in Zusammenarbeit mit den Lehrern ihre individuellen Stärken zu entdecken – das betrifft vor allem die Fächer Musik und Fremdsprachen. Sowohl für die Mittel- als auch für die Oberstufe gibt es jetzt auch sogenannte Neigungsgruppen, in denen an einem Nachmittag in der Woche klassenübergreifend aus den Bereichen Naturwissenschaft, Kunst, Sprachen, Textiles Gestalten und Sport Schwerpunkte gewählt werden können. Ein eigens konzipierter Plan legt fest, wie viele Stunden aus welchem Bereich pro Schuljahr gewählt werden müssen, um dem internationalen Waldorflehrplan gerecht zu werden.

Zeit zum Aufwachen

Der neue Schulrhythmus war natürlich für alle Beteiligten eine Umstellung: »Es bedarf eines aufgeschlossenen und flexiblen Kollegiums, um ein solches Unterfangen anzugehen und umzusetzen. Wir sahen und sehen es als Prozess, der ständig in den Konferenzen angeschaut und weiterentwickelt wird, so dass diese neue Art des Schulrhythmus nicht nur von den Eltern und Kindern, sondern auch vom Kollegium gut angenommen und gesund gelebt werden kann«, erzählt Michèle Bevot-Führer, Lehrerin an der Schule. Die Umstellung und all die damit verbundenen Herausforderungen haben sich gelohnt, das zeigt sich auch an folgendem Bericht der ehemaligen Schülerin und jetzigen Schülermutter Anna Baar, die im November 2012 mit dem Kärntner Literaturpreis ausgezeichnet wurde:

»Freitagmorgen, halb acht. Es ist Ende September, aber draußen taghell. Die Kinder sind guter Dinge, der Frühstückstisch aufgeräumt. Es duftet nach Marmelade und Kaffee. Es ist noch Zeit genug, den Großen mit dem Hund um die Häuser zu schicken und dem Jüngsten die Lektüre der Sportnachrichten zu gestatten. Seelenruhig liegt er am Wohnzimmerteppich und blättert vor sich hin. Ach ja, die Turnsachen sind noch zu packen. Das wär’s dann aber. Nach einem kurzen, wilden Intermezzo in der Garderobe fällt die Tür mit Schwung ins Schloss. Schlagartig ist es still.

Bis vor kurzem war ein guter Start in den Tag für uns Glücksache. Zu schmal war der Grat zwischen unaufgeregter Neugier auf die Verheißungen des jungen Tages und dem, was man gemeinhin ein böses Erwachen nennt. Dazu muss man wissen: Unser Morgenzauber ist fragil, ein Spielball unserer Launen. Vor allem meiner Launen. Ausgerechnet in der Früh reagiere ich auf Hektik und Verstimmung wie ein Seismograph. Von null auf hundert in Bruchteilen von Sekunden. So beginnen schlechte Tage, Tage, an denen ich Stunden damit zubringe, mich von jenem Furor zu erholen, den die Kinder – eher belustigt als mit dem erhofften Respekt – als »Anfall« bezeichnen.

Früher kamen diese morgendlichen Anfälle in schöner Regelmäßigkeit, spätestens nach dem fünften fruchtlosen Appell: »Steh jetzt auf!«, »Zieh dich an!«, »Trink wenigstens deinen Tee!«, »Beeil dich!«, »Los, los, los!« Jetzt ist das anders. Weil der Unterricht an unserer Schule erst um halb neun beginnt. Klingt vielleicht zu einfach, um wahr zu sein, ist aber so: Die Kinder stehen von selbst auf, anstatt eine halbe Ewigkeit nach dem Weckerklingeln aus dem Bett gequält zu werden. Sie trödeln nicht halb bewusstlos im Badezimmer herum, sondern kommen rechtzeitig und ausgeruht zum Frühstück und haben sogar Appetit. Danach bleibt meist noch ein bisschen Zeit zum Reden, Musik hören und Lesen. Und manchmal auch für das eine oder andere Streitgespräch. Es ist nicht immer alles eitel Wonne, aber was für ein Gewinn an Lebensqualität!«

Waldorfschule Klagenfurt