Leonida Pop ruft mich an. Ich kenne Leonida Pop seit der Wendezeit Anfang der 1990er Jahre, als die ersten Waldorfkindergärten und -schulen in Rumänien begründet wurden. Und Pop kennt Anton Niculescu seit den Tagen in Bukarest, als es darum ging, dass die Waldorfschulen staatlich anerkannt werden sollten. Sein Freund käme nach Stuttgart, meint Pop, ich solle mich unbedingt mit ihm treffen. Inzwischen war Niculescu Generalkonsul in München und ist jetzt rumänischer Botschafter in Slowenien. Das Besondere: Der Konsul hatte seine Kinder Péter und Maria an der Waldorfschule in München-Daglfing und ist ein Freund der Waldorfpädagogik, seit er sie kennengelernt hat.
Das schwarze Auto mit dem CC-Kennzeichen hält vor der Redaktion. Es steigt ein leger gekleideter Mann um die fünfzig aus und lacht aus dem bärtigen Gesicht. Anton Niculescu wirkt auf den ersten und bleibt auch auf den zweiten Blick sympathisch und unprätentiös. Er muss mein Erstaunen bemerkt haben und erzählt gleich eine Geschichte, wie der deutsche Außenminister Frank Steinmeier sich über seine saloppe Haartracht anerkennend äußerte. Sein Diplomatenfahrzeug ist passend dazu ein Dacia. Wir haben eine Stunde Zeit und kommen ins Reden.
Niculescu hat die deutsche Sprache in den 1970er Jahren in Birthälm (rumänisch Biertan) gelernt. Birthälm in Siebenbürgen war damals zu fast 100 Prozent ein deutsches Dorf. Seine Eltern haben ihn immer dorthin in die Ferien zu einer sächsischen Familien geschickt. Niculescu erinnert daran, dass er später viele Politiker aus Siebenbürgen kennenlernte, auch der jetzige rumänische Präsident gehört dazu. Schließlich gingen zwei Nobelpreise an zwei Banaterschwaben: Hertha Müller (Literatur) und Stefan Hell (Chemie). Niculescu sollte nach dem Willen seiner Eltern Ingenieur werden in Rumäniens Chemieindustrie – das sei ein sicherer Beruf. Doch es zog den jungen Mann in die Politik und in den Journalismus. Er vertrat die ungarischen Studenten, war Berater der Friedrich Naumann Stiftung und Mitglied eines liberalen Zirkels der Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien, dann Berater der EU, schließlich Staatssekretär im Auswärtigen Amt. 2008 verabschiedete er sich aus den politischen Ämtern und ging in den diplomatischen Dienst. Als er Generalkonsul in München wurde, suchten er und seine Frau Donna einen Kindergarten und eine Schule für ihre beiden Kinder. Der heute siebenjährige Péter und die zwei Jahre ältere Schwester Maria hatten sie als Waisenkinder in Rumänien adoptiert.
Die Kinder sprachen kein Deutsch und die Waldorfschule war die einzige, die sie trotzdem aufnahm. Doch die beiden brauchten nicht nur sprachliche Förderung, sondern wegen ihrer Waisenhausvergangenheit therapeutische Unterstützung und die bekamen sie von Anfang an.
Die Kinder gediehen, und das überzeugte Niculescu: »Mein Interesse ist es als Vater, dass es meinen Kindern gut geht und dass sie sich gut entwickeln.« Besonders gefällt ihm das holistische Konzept der Waldorfpädagogik, die freie und offene Atmosphäre, »wie in einer großen Familie. Die Waldorfschule hat eine gesunde Seele«, schwärmt er. Diese Erfahrung steht in deutlichem Kontrast zu seiner eigenen schulischen Sozialisation in Rumänien, bei der kein Raum war für organische Entwicklung und individuelle Förderung der Kinder. »Und was kommt dabei heraus?«, fragt er. »In Rumänien machen 80 Prozent der Waldorfschüler das Abitur, an den staatlichen Schulen nur 50 Prozent. Also kann die staatliche Pädagogik nicht förderlich für das Lernen sein. Hier freuen sich meine Kinder auf die Schule und selbst die Familien werden positiv von der Waldorfpädagogik beeinflusst. Sie sind ja auch stark eingebunden in das schulische Leben«, redet sich Niculescu in Fahrt.
Ich begleite Anton Niculescu zur Staatskanzlei, wo er seinen Abschied geben muss, jetzt ganz Diplomat in Anzug und Schlips. Bevor er hinter der Tür verschwindet, winkt er noch einmal.