Tatjana Fuchs | Welchen Ausbildungs- und Berufsweg haben Sie beide zunächst gewählt?
Friederike Bönner | Ich habe an einem katholischen Berufskolleg eine klassische Ausbildung zur Erzieherin absolviert. Danach habe ich sieben Jahre als Erzieherin in einem katholischen Kindergarten gearbeitet.
Maximilian Buchka | Zunächst studierte ich Grund- und Hauptschullehramt, anschließend Sonderpädagogik. In den 1970ern kam ich als Lehrer an eine Schule für geistig Behinderte und habe ein halbes Jahr nach dem Berufseinstieg zusätzlich begonnen, NRW-weit Seminare für die zweite, die praktische Phase der Lehrerbildung von Sonderpädagogen aufzubauen. Anschließend habe ich eine Modellschule für Kinder mit geistiger Behinderung entwickelt und als Rektor geleitet. In den 1980er Jahren bekam ich einen Ruf an die Katholische Fachhochschule in Köln als Professor für Sonderpädagogik. Dort habe ich über 14 Jahre als Dekan und auf der Rektoratsebene an deren Profilierung mitgewirkt.
TF | Was waren Ihre ersten Berührungspunkte mit der Waldorfpädagogik?
MB | Eine Lehramtsanwärterin, die ich betreute, absolvierte ihren Vorbereitungsdienst am Troxler Haus, einer heilpädagogischen Waldorfschule in Wuppertal. Bei meinem ersten Unterrichtsbesuch dort rezitierte eine Dame in entsprechender Landestracht ein russisches Gedicht, anschließend eine Dame im Petticoat ein französisches Gedicht – und das im Deutschunterricht. Ich war zugegeben irritiert, aber auch so interessiert, dass ich mir in der nächsten Buchhandlung alle verfügbaren Schriften von Rudolf Steiner besorgte. Die Lektüre hat mich nicht weiter gebracht – ich habe es nicht verstanden. Doch dann hat das Schicksal ein weiteres Mal gewebt: Anfang der 1980er Jahre wünschten sich einige Studierende eine Exkursion zu den Camphill-Gemeinschaften am Bodensee. Dort lernte ich die anthroposophische Heilpädagogik kennen und mit ihr herausragende anthroposophische Persönlichkeiten.
FB | Noch während meiner Ausbildung besuchte ich einen Waldorfkindergarten. Die Gestaltung der Räume hat mich tief beeindruckt, jedes Detail hatte seinen Sinn. Berührt hat mich auch die Atmosphäre, ich fühlte mich zuhause. Die Erinnerung daran hat mich in den folgenden Monaten nicht losgelassen. Aber ich habe gedacht, dass für mich als klassisch ausgebildete Erzieherin die Tätigkeit in einem Waldorfkindergarten nicht in Frage kommt. Nach einigen Jahren der Berufstätigkeit verspürte ich dann den Wunsch, zu studieren.
TF | Was hat schließlich zu der Entscheidung geführt, die Waldorfpädagogik zum Mittelpunkt Ihres Berufes zu machen?
FB | Die Berichte aus der Praxis haben für mich eine derartige Leuchtkraft entwickelt, dass ich mich entschloss, in eine Waldorfeinrichtung zu wechseln – noch während des Studiums. Auch die Auseinandersetzung mit den pädagogischen Ideen Rudolf Steiners im Studium hat dazu beigetragen.
Letztlich hat die Begegnung mit Persönlichkeiten aus der Waldorfpädagogik dazu geführt, dass ich nun selbst in diesem Umfeld tätig bin.
MB | Die Persönlichkeiten waren es auch bei mir. Die Methoden von Hans Müller-Wiedemann und Georg von Arnim, beides Mitarbeiter des Camphill-Gründers Karl König, haben mich durch ihre Glaubwürdigkeit und Authentizität überzeugt. Müller-Wiedemann und von Arnim gewährten mir zum Beispiel Einblicke in ihre Methode der »Kinderkonferenz«, mit der Pädagogen herausfinden können, was die gemeinsame Aufgabe an einem jungen Menschen ist. Alle Kollegen, wenn möglich auch die Eltern und andere Bezugspersonen, die mit einem Kind zu tun haben, setzen sich zusammen und berichten aus ihren Perspektiven über das Kind. In der Gesamtschau entsteht schließlich mehr, als jeder Einzelne vom Wesen des Kindes wahrnehmen könnte.
TF | Hatten Sie während dieser Umorientierung Zweifel, gab es Hürden?
FB | Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, ob ich die richtige Erzieherpersönlichkeit mitbringe. In der Praxis hat sich aber schnell gezeigt, dass es sehr gut funktioniert.
MB | Um die Ideen Rudolf Steiners in der Lehre der Katholischen Fachhochschule unterzubringen, musste ich zunächst Umwege gehen: Für mein 1985 eingereichtes Seminar »Rudolf Steiner und die Heilpädagogik« bekam ich einen Rüffel vom Rektor. Ich habe es umbenannt in »Reformpädagogische Ansätze der Heilpädagogik«, aber alles wie geplant gelehrt. Darüber hinaus konnte ich meine theoretische Auseinandersetzung mit der Heil- und Waldorfpädagogik jahrelang nicht veröffentlichen – kein Fachmedium hat einen Aufsatz angenommen, in dem das Wort Anthroposophie vorkam. Erst in der von mir mitgegründeten sonderpädagogischen Fachzeitschrift »Lernen konkret« konnte ich dann endlich, in Zusammenarbeit mit Professor Rüdiger Grimm, meine anthroposophisch-pädagogischen Grundüberzeugungen problemlos veröffentlichen.
TF | Empfinden Sie den Wechsel in die Waldorfpädagogik im Nachhinein als Bruch mit der klassischen Pädagogik?
FB | Ja und nein. Ich distanziere mich von einigen Elementen der klassischen Pädagogik und hinterfrage deren Selbstverständlichkeiten. Unabhängig von einer bestimmten Pädagogik steht für mich hinter allem die Frage: Was ist im Sinne des Kindes?
MB | Ich stehe voll und ganz hinter der Waldorfpädagogik, vermittle in meinen Seminaren aber auch zunächst die klassische Pädagogik, da viele der Studierenden diese aus ihrer Ausbildung oder dem Pädagogik-Kurs in der gymnasialen Oberstufe kennen. Das mache ich, um sie dort abzuholen, wo sie stehen. Erst danach trete ich in meinen Seminaren in den Diskurs zwischen klassischer Pädagogik und Waldorfpädagogik ein. Für die Studierenden, die ihre Auseinandersetzung mit Waldorfpädagogik weiter vertiefen möchten, biete ich ein Lektürekolloquium an. Darin lesen wir Texte von Steiner und diskutieren darüber, was diese Ansätze für uns selbst, unser Leben und unsere Pädagogik bedeuten.
TF | Warum arbeiten Sie heute als Waldorfpädagogen?
MB | Ich möchte die Studierenden an die Anthroposophie heranführen – das geht meines Erachtens nur über authentische Menschen. Ein solcher möchte ich sein, aber auch einer, der den Studierenden spirituelle Grundlagen für ihr Leben vermittelt.
FB | Ich habe selbst erlebt, wie Maximilian Buchka begeistern kann – auch darum bin ich heute Waldorfpädagogin. So, wie Saint-Exupéry sinngemäß gesagt hat: »Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, sondern lehre die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.« Ich bin Waldorfpädagogin aus Überzeugung, ich erlebe jeden Tag, wie sich diese Pädagogik bewährt, wie sie die Kinder trägt. Ich fühle mich – zum ersten Mal in meiner beruflichen Laufbahn – getragen und authentisch.
Die Fragen stellte Tatjana Fuchs, Öffentlichkeitsarbeiterin an der Alanus Hochschule.