Die Mütter werden abgeschafft

Ute Hallaschka

Es ist erschütternd, was die Autorin der FAZ-Sonntags-zeitung nach sorgfältiger Recherche in ihrem Buch »Feindbild Mutterglück« zusammengestellt hat. Unsere Zivilisation schafft gerade die Mütter ab. Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung zielt auf die Verwertbarkeit menschlicher Arbeit, darauf, dass wir unser Leben auf allen Ebenen vorrangig nach den Bedürfnissen der Wirtschaft organisieren. Wer dieser ökonomischen Profilierung naturgemäß im Weg steht, sind Mütter und Kinder. Beide sind als solche nicht profitabel. Mütter, die einfach da sein wollen für das Kind, rechnen sich nicht.

Als Antje Schmelcher ihr Buch schrieb, war von »social freezing« noch keine Rede. Dieses Schlagwort kann man geradezu als Beleidigung des gesunden Menschenverstands auffassen. Oder als eine Lüge. Firmen bieten ihren Mitarbeiterinnen die Möglichkeit, ihre Eizellen einfrieren zu lassen und übernehmen dafür die Kosten. Die Idee: Frauen könnten so beruhigt erst einmal Karriere machen und die Geburt auf später verschieben. Das Ganze wird als Gleichberechtigung verkauft. Endlich wird die biologische Grenze der Fruchtbarkeit überwunden. Ebenso wie die Männer, die in hohem Alter noch Kinder zeugen, wären die Frauen mit den eingelagerten Eizellen gebärfähig. Natürlich ist es keine soziale Idee, sondern eher eine Horrorvorstellung der Optimierung von Lebenskraft zugunsten der Gottheit der Ökonomie.

Multitasker, aber keine vollwertige Arbeitskraft

Eine unterbrochene Erwerbsbiografie, der Ausstieg aus der Arbeitswelt, das ist heute noch immer ein Stigma. Eine Frau mit Kind oder gar mehreren gilt zwar als Multitasker, aber nicht als vollwertige Arbeitskraft. Jenseits der Teilzeitbeschäftigung steht sie unter Verdacht. Was, wenn das Kind krank ist? Selbst wenn sie anwesend ist, ist sie innerlich doch mit ihren Gedanken beim Kind. Das stört. Die Frauen selbst fürchten, nicht mehr für voll genommen zu werden. Abgesehen vom Arbeitseinkommen – welche Frau traut sich heute noch mit einer Identität als Mutter zufrieden zu sein, ohne sich minderwertig vorzukommen, sich rückständig zu fühlen, oder unter permanenten Rechtfertigungsdruck zu stehen?

Das legt den Schluss nahe, dass Muttersein und Kindheit gesellschaftlich nicht mehr geschätzt und geachtet werden. Dies ist zutiefst inhuman. Vor diesem Hintergrund kann man Schmelchers Buch geradezu als ein Brevier der Menschenwürde auffassen. Der Autorin gelingt das Kunststück, die Fülle der Daten und Fakten, die sie aus sehr unterschiedlichen Kontexten gewinnt, so lebendig anschaulich zu verweben, dass ein regelrechtes Tableau als Zeitbild entsteht. Sie entwirft die These, dass nicht nur Wirtschaft und Industrie, sondern aktuell auch die Soziologie und vor allem der Feminismus dem ökonomischen Menschenbild huldigen und es fördern. Was einmal in der Emanzipationsbewegung als Gleichberechtigung gedacht war, umfasste selbstverständlich auch das Dasein der Mütter. Die aktuelle Gender-Debatte zielt nicht mehr auf die Befreiung der Frauen in selbstbestimmter Lebensform, sondern in erster Linie auf die Befreiung weiblicher Arbeitskraft, auf die Frage, wie die Frau »freigestellt« werden kann zur sogenannten Erwerbsarbeit. Während die ursprüngliche Emanzipationsbewegung das Muttersein durchaus als vollwertige Arbeitsstelle verstanden hat und gerade für diese Arbeit Anerkennung und gesellschaftlich zu leistende Finanzierung forderte, werden heute Frauen, die »nur« Ganztagsmütter sein wollen, abgestempelt und als minderbemittelt aufgefasst. Doch es geht nicht darum, die Frau, die Mutter sein will, auszuspielen gegen die Frau, die sich ihrem Job widmen will.

Mutter sein ist keine Wellnessoase

Die Autorin ist selbst Mutter. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Töchtern in Berlin-Pankow. Im Gespräch, in der Begegnung zeigen sich die Klarheit und Transparenz, die ihren Texten eignet und eine wundervoll ehrliche Haltung. Sie gibt unbefangen zu, keineswegs frei zu sein von den beschriebenen gesellschaftlichen Zwangsvorstellungen: »Angenommen, eine meiner Töchter will später mal Kinder kriegen und würde dafür den Job aufgeben und zu Hause bleiben wollen. Da kriegt man doch Angst. Sie wäre auf die Fürsorge eines Partners angewiesen, und wenn die Beziehung in die Brüche ginge … Ich kann doch meinen drei Töchtern unmöglich raten, wenn ihr wollt, bleibt später mal zu Hause und kümmert euch um eure Kinder! Diese Freiheit existiert nicht«.

Hier zeigt sich, welche Verantwortung Frauen als Mütter tatsächlich für die Zukunft übernehmen. Und damit werden sie ziemlich allein gelassen. Muttersein und Kindererziehung ist heute wesentlich eine Aufgabe der Selbsterziehung – sich Mut zum eigenen Denken zu machen. Es geht darum, ein zukünftiges Welt- und Menschenbild zu entwerfen, für das es keine Vorbilder gibt. Eine Welt, in der die Fürsorglichkeit, das Dasein für andere neu Anerkennung findet – nicht unter Rückgriff auf traditionelle Rollenbilder, sondern auf Basis einer individuellen Entscheidung. Diese Forderung der Herzlichkeit braucht Mut und Selbstvertrauen. Antje Schmelcher ist eine Vorkämpferin dieses neuen weiblichen Selbstvertrauens. Ihre umfassende Zusammenschau der gesellschaftlichen Verhältnisse ist frei von jeglicher Ideologie. Sie ist schlicht Ausdruck des Freiheitsbedürfnisses und des gesunden Menschenverstandes. Und sie macht sich dadurch nicht nur Freunde.

Im Internet finden sich Polemiken, die am eigentlichen Thema – dem Kindeswohl – völlig vorbeigehen. Darin bewahrheitet sich wiederum der Buchtitel: dass gar nicht mehr verstanden wird, was dieser Begriff zum Ausdruck bringt. Denn »Mutterglück« ist ja keine Wellnessoase, in der man die Seele baumeln lässt. Es ist der Inbegriff der Liebe und Fürsorglichkeit, in der freien Übernahme der Verantwortung für das Wohlergehen eines anderen Wesens. Und das bedeutet harte Arbeit. Wird das Leben der Kinder dagegen als reines Betreuungs- und Dienstleistungsproblem aufgefasst, das in Konkurrenz steht zur Erwerbstätigkeit, dann sind wir nicht mehr weit weg davon, dass Kindheit verschwindet.

Deshalb ist es höchste Zeit, uns radikal auf ein Welt- und Menschenbild zu besinnen, das uns Menschlichkeit gestattet. Rainer Maria Rilke entwarf in einem Brief einen Emanzipationsbegriff, der nach mehr als hundert Jahren noch immer zukünftig ist und an den Antje Schmelcher anzuschließen scheint. In einem Brief vom 14. Mai 1904 an Franz Xaver Kappus beschrieb er das, was die Autorin fordert: eine freie weibliche Daseinsmöglichkeit: »Das Mädchen und die Frau in ihrer neuen, eigenen Entfaltung, werden nur vorübergehend Nachahmer männlicher Unart und Art und Wiederholer männlicher Berufe sein. Die Frauen, in denen unmittelbarer, fruchtbarer und vertrauensvoller das Leben verweilt und wohnt … eines Tages wird das Mädchen da sein und die Frau, deren Name nicht mehr nur einen Gegensatz zum Männlichen bedeuten wird, sondern etwas für sich, etwas, wobei man an keine Ergänzung und Grenze denkt, nur an Leben und Dasein – : der weibliche Mensch.«

Was Rilke mit diesem weiblichen Menschen meinte, wird deutlich, wenn man seine Aussage berücksichtigt, er könne nur in einem weiblichen Gemütszustand dichten. Das Mütterliche, das Fürsorgliche, das Hingebungsfähige, auch das Poetische – ob in Frau oder Mann – galt ihm als die Weiblichkeit des Menschen. Diese herauszulösen aus den Geschlechterklischees und frei werden zu lassen, scheint eine wundervolle Zukunftsperspektive.

Zur Autorin: Ute Hallaschka ist freie Autorin.

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