Er wusste ganz genau, dass das Amt des Pontifex Maximus ehemaligen Konsuln vorbehalten war, aber er sah darin den entscheidenden Schritt auf seiner politischen Karriereleiter und so setzte er seinen Einfluss als Patrizier und die entsprechenden Schmiergelder ein, um sich den Weg zu ebnen. Er erreichte sein Ziel.
Diese kleine Geschichte macht den scharfsinnigen Strategen im Kontext der Verstandesseele sichtbar. Es ging nicht um Dienst an der Religion, sondern um den Trittstein. Danach unternahm Caesar Feldzüge nach Gallien (58-50), berichtete über seine Erfolge in einer klaren, schnörkellosen Sprache und sorgte dafür, dass seine Kommentare, bekannt als »De Bello Gallico«, unter die Leute kamen. Caesars ›Marketing‹ weckte bei den Stadtvätern Angst vor seinem Einfluss und Machtzuwachs. Als er mit seinen Legionen auf dem Heimweg war, enthoben sie ihn aller seiner Ämter. Caesar aber ließ sich nicht aufhalten, missachtete die Befehle, überquerte den Rubicon (im Jahre 48) und löste den Bürgerkrieg mit den berühmten Worten aus: »Die Würfel sind gefallen«. Zwei Jahre später war er Alleinherrscher in Rom. Als seine Anhänger ihn aus Dank für sein Wirken zum Diktator auf Lebenszeit machen wollten, wurde er an den Iden des März 44 ermordet.
Der Mensch emanzipiert sich
Diese Erzählung veranschaulicht die Verstandesseele. Während die Empfindungsseele das mit dem Gefühl Wahrgenommene zum Bewusstsein bringt, geht die Verstandesseele in umgekehrter Richtung vor. Aus der Übersicht fokussiert sie, und wählt das aus, was ihr wichtig scheint. Man könnte auch sagen, sie kondensiert und abstrahiert aus der Fülle des sie umgebenden Lebens die Faktoren, die sie für ihre Emanzipation braucht. Damit löst sie sich aus dem Lebendigen heraus und gewinnt ihre Freiheit. Da der Mensch ein tätiges Wesen ist und er die so gewonnenen Einsichten zur Verwirklichung seiner Absichten benutzt, erlebt er sich als selbstständigen Teilnehmer am Weltgeschehen. »Durch das Denken, wird der Mensch über das Eigenleben hinausgeführt … Es ist für ihn eine selbstverständliche Überzeugung, dass die Denkgesetze in Übereinstimmung mit der Weltordnung sind. Er betrachtet sich deshalb als ein Einheimischer in der Welt, weil diese Übereinstimmung besteht« (Rudolf Steiner: Theosophie).
Steiner verwendet oft die Doppelbezeichnung: »Verstandes- und Gemütsseele«. Das weist darauf hin, dass man die Verstandesseele nicht einfach mit dem Denken oder mit dem Intellekt gleichsetzen kann. Die denkende Tätigkeit dient der Seele, die sich wiederum gemüthaft mit der Welt in einen erlebenden Zusammenhang stellt. Beide dienen der Emanzipation des Eigenerlebens, der Individuation. Es gibt zwei Phasen im Leben, in denen sich die Verstandes- und Gemütsseele deutlich zeigt: beim Heranwachsenden (ab dem 16. Lebensjahr) und beim Erwachsenen zwischen dem 28. und dem 35. Lebensjahr.
Der Schmetterling entpuppt sich
Wenn die Kindheit verloren ist, die Fortpflanzungskräfte spürbar werden und der Jugendliche sich mit dem, was aus den Tiefen seiner Seele aufsteigt, herumplagen muss, dann ist der Astralleib in das Innere eingezogen und der Jugendliche muss mit der Fülle der neuen Erlebnisse fertig werden. Nach Außen verpuppt er sich und will nicht gestört werden. Für Eltern ist das oft ein großes Rätsel, denn sie müssen mit dem Gefühl leben, ihr Kind verloren zu haben. Dann arbeitet sich etwas aus der Verpuppung heraus. Unerwartet können sehr treffende und humorvolle »Einwürfe« Situationen kommentieren und eine gewisse Fröhlichkeit kann für Momente zwischen den lastenden Wolken hindurchblitzen. Es ist, als ob ein Schmetterling seine Flügel erst strecken müsste, bevor er das Fliegen erprobt. Etwas emanzipiert sich aus den seelischen Umgarnungen, befreit sich von seinen Emotionen und entwickelt eine selbstständige Urteilskraft. Mit dieser Urteilskraft wird der Kopf leicht. Der junge Mensch fühlt sich frei, die Welt neu zu entdecken und seine Selbstfindung kann beginnen.
Wenn der Verstand das Leben austreibt
Nach einer ersten Zeit der Selbstfindung als Erwachsener hat man die Höhen und Tiefen des »Sturm und Drangs« durchschritten. Jetzt rüstet man sich für das Leben oder ist schon längst in die Arbeitswelt eingetaucht. Dann kommt das Bedürfnis auf, sich zu festigen, sich zu etablieren. Dies ist das Tor zur Ernüchterung zwischen dem 28. und 35. Lebensjahr und in der Entfaltung der »Überzeugung, dass die Denkgesetze in Übereinstimmung mit der Weltordnung sind«, bildet sich die Verstandesseele aus. Man wähnt sich klug, sicher und weiß, wie es geht, bis man an Wände stößt, die klar machen, dass man nicht alleine im Lebenskampf steht, sondern dass es auch noch andere gibt, die sich durchsetzen wollen. Ziele und Strategien werden wichtig. Gedankliche Klarheit überzeugt, die logische Folgerichtigkeit scheint den Erfolg zu sichern.
Der analytische Verstand verschafft einem zwar diese Klarheit, leuchtet die Möglichkeiten des Weges aus, aber zugleich spürt man, dass in dieser rationalen Selbstbestimmung das Gemüt kalt zu werden droht, denn das Gefühl der Teilnahme am eigentlichen Leben ist einem unmerklich abhanden gekommen.
Im Hinterfragen ahne ich die dämmernde Bewusstseinsseele. Werde ich mir dieser Todeserlebnisse bewusst, dann mache ich mich auf, das Lebendige zu suchen und herauszufinden, was ich im Leben wirklich will.
Zum Autor: Ronald Templeton ist Waldorflehrer und als Organisationsentwickler und Konfliktberater tätig.