Wolframs Parzival gilt als ein Leuchtturm der mittelhochdeutschen Literatur und hat seinen festen Platz im Literaturunterricht an Waldorfschulen.
Über lange Zeit war die Übersetzung von Wilhelm Stapel aus dem Jahr 1937 der meistgenutzte Text. Wilhelm Stapel gehörte zu den Trägern einer nationalkonservativen Pädagogik, die mit derjenigen des Nationalsozialismus gut zusammenpasste. Wäre Stapels Übersetzung inhaltlich exorbitant gut, könnte dies eine eher ethische Frage sein. Doch zusätzlich zu den ethischen Bedenken bestehen auch fachliche Gründe, die Übersetzung von Stapel im Unterricht nicht mehr zu verwenden.
Die Übersetzung war schon für das Jahr 1937 sprachlich wie fachlich heillos veraltet: Stapel übersetzt im nahezu gleichen Duktus wie Karl Simrock 1842, verwendet nicht die Textgrundlage von Lachmann, die damals bereits Standard war, und verrennt sich dabei in einem pathetischen Zerrbild germanisch-ritterlicher Ideen. Etliche Motive werden unscharf gegriffen.
Dies zeigt sich auch an einer Vielzahl von sogenannten „falschen Freunden“. Wenn beispielsweise Zucht nicht im Bedeutungsfeld „edle Erziehung, vornehmes Verhalten, Rücksicht, ethisches Verhalten“, sondern als harte Erziehung und Unterwerfung verstanden wird – was bei wörtlicher Übernahme der Bedeutung von „Zucht“ in den 1930er-Jahren durchaus entsprach, führt dies im besten Fall zu Missverständnissen, schlimmstenfalls zu verzerrenden inhaltlichen Umdeutungen.
Der gesamte Griff der Übersetzung transportiert so das Werk nicht einmal annähernd.
Seit Langem greifen Waldorflehrer:innen deshalb auch auf die Übersetzungen von Dieter Kühn oder Peter Knecht zurück, die aber nicht immer tauglich für Jugendliche im Alter von etwa 17 Jahren sind.
Die nun durch Ben Büttner vorgelegte Neuübertragung in moderne Prosa ist demgegenüber insbesondere auf die Bedürfnisse von Lernenden der 11. Klasse zugeschnitten, richtet sich aber ebenso an alle Interessierten, die sich ohne vertiefte Vorkenntnisse zum Mittelalter dem Parzivalstoff nähern wollen.
Bei der Neufassung steht die Lesbarkeit des sehr umfangreichen Werkes im Vordergrund. Es wurde an die heutigen Gegebenheiten im Unterricht sowie die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler angepasst. Manche Passagen wurden gerafft, Schlüsselstellen hingegen nahezu originalgetreu übersetzt, sodass die Kürzungen beim Lesen nicht ins Gewicht fallen und die Stimmung des mittelhochdeutschen Originals erhalten bleibt.
Wolframs feiner Sinn für Humor, für Mystik und für Erotik, seine Selbstironie, vor allem aber seine hochmoderne Auffassung von ethnischer und religiöser Toleranz werden so bewahrt. Zentrale mittelhochdeutsche Ausdrücke (Minne, Tjost, Aventiure etc.) werden beibehalten und erläutert.
Ein umfangreicher Anmerkungsapparat liefert Hintergrundinformationen. Die Stammtafel im Umschlag hilft bei der Orientierung im komplexen Figurenensemble. Jedes der sechzehn Bücher wird zudem mit einer kurzen Passage auf Mittelhochdeutsch eingeleitet, an der ein zentrales Charakteristikum des Kapitels deutlich wird.
Damit liegt nun eine zeitgemäße und angemessene Übersetzung sowohl für den Unterricht in der 11. Klasse als auch für die Lektüre durch „interessierte Laien“ vor.
https://www.waldorfbuch.de/buch/wolframs-von-eschenbach-parzival-9783949267994/?page_id=0
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