Eigentlich ...

Mathias Maurer

Keine Monatsfeiern, keine Konzerte, keine Adventsbasare, keine Klassenspiele, keine Klassenfahrten. Stattdessen: Getrennte Schülerkohorten, ausgewiesene Laufkorridore, Elternabende und Konferenzen auf Abstand, Maskenpflicht ... Mancherorts treten Lehrer und Lehrerinnen unter Strafandrohung als Hüter eines »geregelten Schulbetriebs unter Pandemiebedingungen« auf, Schüler melden delinquente Schüler. Es wird sehr genau registriert, wer die Auflagen individuell lockerer handhabt. Eine ungute, moralisch aufgeladene Stimmung zwischen Anpassung und Abweichung macht sich breit. Sozial stoßen die Schulgemeinschaften – Lehrer wie Eltern – an ihre Grenzen, wenn in der Frage der Verhältnismäßigkeit der amtlichen Vorgaben unterschiedliche Meinungen vertreten werden oder – allgemeiner ausgedrückt – die Balance zwischen Freiheit und Verantwortung ins Straucheln gerät. Wir leben in Zeiten, in denen nicht mehr offen darüber gesprochen werden kann, was man denkt, ohne die Gefahr, zu polarisieren. Und das merken vor allem die Kinder.

Unstrittig ist, dass – bei allem Spielraum, den jede Schule hat –, wir uns gegenwärtig mit einem waldorfpädagogischen Minimum begnügen müssen.

Und jetzt ein Heft mit dem Thema »Musik und Singen«, so dass es wie zu Unzeiten präsentiert erscheinen mag? – Mitnichten, denn es macht umso mehr zweierlei bewusst:

Singen und Musik begleiten das Leben der Schüler und Lehrer von der ersten bis zur zwölften Klasse.

Aus jeder Fensterritze dringt der Gesang der Klassen, der Klang von Klavier, Geigen und Trompeten ...

Die Aufführungen sind ein Herzstück, der prall besetzte Festsaal Sinnbild für die einende Kraft einer musizierenden und singenden Gemeinschaft. Singen und Musik sind an Waldorfschulen sozial essentiell.

Drückt sich der kleine oder große Mensch mit seiner »Stimme« singend oder instrumental aus, »spricht« sein Inneres. Zentral ist nicht Könnerschaft, sondern die Pflege und Kultivierung des Seelen­raumes, indem hörend neue Eindrücke aus der Welt empfangen werden und tönend die eigene »Stimme« sich zum Ausdruck bringt, ein ständiges Geben und Nehmen, es ist der Atem der Schule. Es ist das Gegenbild einer von Masken behinderten Kommunikation, die einen das eigene Kohlendioxid wieder einatmen lassen. – Singen und Musik sind an Waldorfschulen pädagogisch essentiell.

Wenn wir singen, produzieren wir vermehrt Aerosole, wenn wir gemeinsam musizieren, drohen wir die gebotene Abstandspflicht zu unterlaufen – »das Beste daraus zu machen« kann aber nicht bedeuten, dass wir zu summend-brummenden Käfern werden oder zwischen Trennscheiben musizieren. Derlei Empfehlungen berühren die Würde des Menschen, des pädagogischen Handelns und Anliegens.