Manfred Klett schaut auf eine bewegte Biographie zurück, die alle Höhen und Tiefen des vergangenen Jahrhunderts aufweist, doch zugleich zeigt sich darin eine Kontinuität wie eine Leuchtspur: ein Leben für die Erde aus dem Geist der Anthroposophie. Sein Credo ist Arbeit – aber nicht so wie wir sie meist empfinden, als verzehrenden Kräfteraub, sondern als schöpferische Tätigkeit. Ein Kunstwerk des gelingenden Lebens im biblischen Sinne: Wenn es gut ist, dann ist es Arbeit gewesen.
Geboren wurde Klett 1933 in Tansania, am Fuße des Kilimandscharo – eine Kindheit im Paradies. Afrika, der geplagte Kontinent, hat ja die fruchtbarste Erde. »Ich dachte oft«, sagt er mit leisem Lächeln, »hier hat der liebe Gott es zugelassen, dass der Mensch aufrecht die Erde betritt.« Im Februar 1940 musste die Familie über Nacht das Land, das als Mandatsgebiet unter englischer Verwaltung stand, verlassen. So kam der kleine Afrikaner als Flüchtling nach Stuttgart, wo der Bruder des Vaters den bekannten Klett Verlag leitete. Bald wurde die neue Bleibe zerbombt und die Familie wurde in den Schwarzwald evakuiert.
Der Vater war inzwischen Leiter der Landesanstalt für Pflanzenschutz in Baden-Württemberg. Seine Sekretärin, die Tochter des Waldorflehrers Ernst Bindel, sorgte für den nächsten Schicksalsschritt: Ab 1947 besuchte Manfred Klett die Waldorfschule, wo er 1953 Abitur machte. Er begann ein Bauingenieur-Studium mit der Idee, durch eine nachhaltige Wasserwirtschaft Fruchtbarkeit in die Trockengebiete der Erde zu bringen. Aber dann kam die Weltmeisterschaft – Deutschland 1954 im Fußballfieber. »Da hat mir der Engel ein Bein gestellt, pünktlich zum 21. Geburtstag.« Die Jungs kickten auf dem Schulhof und ein Tritt ans Schienbein legte den Tormann lahm. »Ich lag auf dem Boden und es war das größte Glücksgefühl meines Lebens – der Himmel war offen.« Es dauerte allerdings noch eine Weile, bis das Geschaute konkret wurde. Noch an Krücken reiste Manfred Klett 1955 nach Syrien, in den kurdisch besiedelten Norden, einen der Brennpunkte aktueller Weltpolitik. Dort lebte er ein Jahr unter Beduinen und leitete Versuche zur künstlichen Bewässerung im Baumwollanbau. Dann trat zur Beinarbeit des Engels plötzlich die Erinnerung an die Kulturepochen in der Schulzeit. »Die Bilder blühten auf. Ich schaute wie durch ein Tableau auf diese ehemalige Kulturlandschaft, die jetzt eine Halbwüste war. Da wusste ich: Schnell zurück nach Europa, wenn dort nicht in Zukunft auch Ödnis herrschen soll.«
Wenn wir heute, 60 Jahre später, Umschau halten mit Blick auf die Lebenskräfte von Erde und Boden, dann kann man Menschen wie Manfred Klett nur tief dankbar sein für das, was sie geleistet haben. In seinen ersten sieben Jahren als Landwirt gab es weder Ferien noch Feierabend. Der Dottenfelderhof liegt nur 15 Kilometer vom Zentrum Frankfurts entfernt. Eine Handvoll Menschen sorgte über Jahrzehnte im gewaltfreien Widerstand und mit ungeheurem persönlichem Einsatz dafür, die Stadtwüste aufzuhalten. Das rund 150 Hektar große Gelände gehörte ursprünglich einer halbstaatlichen Siedlungsgenossenschaft. Inzwischen ist es mit Hilfe der Gemeinnützigen Treuhandstelle Bochum (heute Teil der GLS-Bank) im Kernbetrieb freigekauft. Die Betreibergemeinschaft hat das Land nicht nur der Spekulation entzogen, sondern es in Kulturland verwandelt – humane Erde. Wer den Hof besucht, spürt den Impuls der biologisch-dynamischen Landwirtschaft auf Schritt und Tritt: das Wirken von Liebeskräften allem Kreatürlichen gegenüber. Es liegt eine besondere Stimmung von Zufriedenheit über den Ställen, die um die Tiere spürbar ist. Ein riesiges Schwein guckt mich so vergnügt an, – ich könnte schwören, dass es dabei zwinkert – als wollte es sagen: Ich lebe hier meiner Natur gemäß – und du? Wer ist nun die arme Sau von uns beiden? Die Initiativkraft des Dottenfelderhofs zeigt sich bis heute ungebrochen. Eine neue Lagerhalle ist gerade für die Samenzucht entstanden. Die Forschung geht weiter. Im Sommer wird ein Hofrestaurant betrieben. Es gibt neben dem Bio-Supermarkt eine mobile Einheit für den Markt auf der Frankfurter Hauptwache – und es gibt nach wie vor die Landbauschule, an der Klett lehrte. Man kann auf dem Dottenfelderhof nicht nur die Ausbildung zum Demeter-Landwirt machen, sondern im Studium aus den Quellen der Anthroposophie schöpfen. So ist Klett doch noch zum Brunnenbauer geworden.
Manfred Klett, der zwischenzeitlich rund 20 Jahre in Dornach als Leiter und Mitarbeiter der Landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum lebte und arbeitete, ist 2010 zurückgekehrt an den Ursprungsort seines Wirkens. Gemeinsam mit seiner Frau Liselotte, »ohne die das alles nicht zu leisten gewesen wäre«, wie er sagt. Diese beiden Menschen vermitteln das, was man ein gesegnetes Alter nennt: wach, weise, tätig – in Frieden mit sich und der Welt. Wer sie besucht, geht glücklicher von dannen, als er kam.
Zur Autorin: Ute Hallaschka ist freie Autorin.