Wettererscheinungen veranschaulichen das Zusammenspiel der Elemente.
Goethe schreibt dazu: »Die Witterung offenbart sich uns insofern wir handelnde wirkende Menschen sind, vorzüglich durch Wärme und Kälte, durch Feuchte und Trockne, durch Maß und Übermaß solcher Zustände, und das alles empfinden wir unmittelbar ohne weiteres Nachdenken und Untersuchen.«
Die vier Qualitäten warm, kalt, trocken und feucht erfahren wir unmittelbar ohne »Nachdenken und Untersuchung«, wenn unser Leib von den Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer (Wärme) berührt wird. Weiter heißt es in Goethes Witterungslehre: »Die Elemente daher sind als kolossale Gegner zu betrachten, mit denen wir ewig zu kämpfen haben, und sie sind nur durch die höchste Kraft des Geistes, durch Mut und List, im einzelnen Fall zu bewältigen. Die Elemente sind die Willkür selbst zu nennen; die Erde möchte sich des Wassers immerfort bemächtigen und es zur Solideszenz zwingen; als Erde, Fels oder Eis, in ihren Umfang nötigen. Ebenso unruhig möchte das Wasser die Erde, die es ungern verließ, wieder in seinen Abgrund reißen, die Luft, die uns freundlich umhüllen und beleben sollte, rast auf einmal als Sturm daher, uns nieder zu schmettern und zu ersticken; das Feuer ergreift unaufhaltsam, was von Brennbarem, Schmelzbarem zu erreichen ist.«
Physikalisch gedachte Wirklichkeit
Mit den hier auf das Seelische, das heißt auf unser inneres Leben hindeutenden Begriffen (Gegner, Willkür, bemächtigen, freundlich umhüllen …), verweist Goethe darauf, dass nicht von physikalischen Kräften im heutigen Sinne die Rede ist. Kräfte werden zwischen den Körpern wirkend oder als Kraftfelder im Raum gedacht. Physikalisch erklärt man die Eigenschaften der Aggregatzustände durch die Wechselwirkung von Bindungskräften zwischen den Molekülen und die Veränderungen dieser Eigenschaften als »Energieverwandlungsvorgänge« – beides ohne jeden Bezug auf wahrnehmbare, vitale oder seelische, auf Gefühl und Stimmung wirkende Qualitäten. Die physikalisch gedachte Wirklichkeit hat keine Verbindung zur erlebten Wirklichkeit.
Energie hat für die Physik eine ähnliche Bedeutung wie Geld für die Wirtschaft. So weiß ein Bäcker genau, wie viel Brot er zu einem bestimmten Preis verkaufen muss, damit der Reingewinn dem Preis eines Kinobesuchs entspricht. Eine bestimmte Menge Brot muss also aus seinem Besitz verschwinden, damit eine Kinokarte in seinen Besitz kommt. Physikalisch kann man berechnen, wie viel Kohle in einem Kraftwerk verbrannt werden muss, um eine ganz bestimmte Menge Elektrizität zu erzeugen. Aber ebenso wenig, wie das Brot sich in eine Kinokarte verwandelt, verwandelt sich die Wärme der brennenden Kohle in Elektrizität.
Es gibt keine Kontinuität der Erscheinung der Wärme mit der erzeugten Elektrizität, auch wenn es unsere Sprechgewohnheiten immer wieder suggerieren wollen. Energie ist nichts an sich selbst und kann sich daher auch nicht verwandeln. Sie ist nur ein quantitatives Maß dafür, wie viel von einer Naturerscheinung vernichtet werden muss, damit eine andere Naturerscheinung entstehen kann. Im Gegensatz zu den Preisen der durch Geld in Beziehung gebrachten Dinge oder Leistungen sind die Energieäquivalente naturgegeben. Die Berechnung von Energiebilanzen ermöglicht Technik, aber keine angemessene Beziehung zur wahrnehmend empfundenen Lebenswelt. Wenn sich in Letzterer eine Veränderung abspielt, deren Ursache zu einem anderen Qualitätsbereich gehört als die bewirkte Veränderung, dann haben wir es immer mit dem Vergehen von etwas zugunsten des Entstehens von etwas Anderem zu tun.
Erlebte Wirklichkeit – die antike Lehre
Dieser Gedanke und das unbedingte Vertrauen in die Wirklichkeit der unmittelbar wahrgenommenen Erscheinungsqualitäten der Welt liegen der antiken Elementenlehre zu Grunde. Aristoteles hat zwei lebensweltliche Zugänge zu ihr überliefert: einen irdisch-menschlichen und einen kosmisch-göttlichen. Aktualisiert kann diese Elementenlehre die Trennung von physikalischer Welt und Lebenswelt überwinden.
Vom irdisch-menschlichen Gesichtspunkt aus erscheinen die Elemente als Folge der Einwirkung von vier Formqualitäten auf die strukturlose Materie (Hyle). Das sind die aktiven, warm und kalt, sowie die passiven, hygrón (feucht, flüssig) und xerón (trocken, fest). Sie ergeben sich aus den leiblichen Erfahrungen im Umgang mit den materiellen Stoffen etwa bei der Nahrungszubereitung, der Heilmittelherstellung und der handwerklichen Bearbeitung. Es gibt Körper, die sich leicht jeder äußeren Form anpassen oder diese ausfüllen, sich aber selbst schwer oder gar nicht voneinander abgrenzen lassen. Diese nennen wir feucht oder flüssig. Sich berührende Wassertropfen fließen in einen zusammen, Gase durchdringen sich, Wasser und Luft erfüllen jeden ihnen gebotenen Hohlraum. Andere Körper dagegen umgrenzen sich selbst und lassen sich in ihrer Form schwer verändern, bestenfalls zerstören. Die Erde nennen wir deshalb fest und trocken. Aber auch das Feuer als Wärme (gemeint ist nicht die Flamme aus brennendem Gas oder Staub) lässt sich nicht umgrenzen, da es keine definierte Körperlichkeit hat, sodass es sich jeder Formumwandlung entzieht. Sie durchdringt alles. Denn sobald ein Temperaturunterschied zwischen irgendwelchen Dingen besteht, gleicht er sich aus. Wärme an sich ist nicht formbar. Also kann auch keine Form verändert werden. Feuer als Wärme ist daher ebenfalls trocken.
Bezeichnen Hygrón und Xerón das passive Verhalten der Körper gegenüber Gestaltungsimpulsen von außen (rühren, hämmern, treiben, schnitzen, raspeln, biegen, ziehen, drücken, spalten, brechen …), so verweisen die aktiven Qualitäten warm und kalt auf innere Eigenschaften. Es handelt sich dabei nicht um Temperaturunterschiede im heutigen Sinne. Das Warme ist vielmehr das, was »Stoffe gleicher Gattung sammelt « (Aristoteles, Meteorologie). Jenes Trennen, das man dem Feuer zuschreibt, ist ja nur ein Sammeln des Gleichartigen, wobei natürlich das Fremdartige ausgeschieden wird. Verbrennt zum Beispiel Holz, trennen sich die flüchtigen Stoffe (Abgase, ätherische Öle) von den nicht flüchtigen (Aschebestandteile). Erstere steigen gemeinsam auf, letztere sammeln sich am Boden. Das Kalte ist das, was »zusammenzieht und in ähnlicher Weise das Gleichartige und das Ungleichartige sammelt« (Aristoteles). Kälte ist also zugleich auch Schwere, durch die alles, was materiell ist, unabhängig von seinen sonstigen Eigenschaften zusammengehalten wird. Und Feuer ist zugleich leicht und nicht nur trocken und warm, weil es nicht umgrenzt werden kann, sondern vom Schweren das Leichte, Flüchtige trennt. Luft ist feucht und warm, weil sie sich allen Formen anpasst, keine Oberfläche bildet und leicht ist, auch bei niedriger Temperatur. Wasser ist feucht und kalt, weil es dieselben Fließeigenschaften wie Luft hat, sich jedoch unter seiner Oberfläche, die aber beweglich und durchdringbar erscheint, zusammenhält. Erde ist trocken und kalt, weil sie sich unter einer fest umgrenzten Oberfläche zusammenhält.
Unter dem kosmisch-göttlichen Aspekt betrachtet hat jedes Element seinen natürlichen Ort im Weltganzen. Der Erdplanet bildet die Mitte der Welt, in der der Mensch sich erlebt, umgeben von den Schichten der Atmosphäre. Diese grenzt an die Sphäre des Äthers, in der sich die Planeten bewegen als lebendige, beseelte Wesen. Sie alle erhalten nach Aristoteles ihren ursprünglichen ersten Bewegungsimpuls vom unbewegten Beweger (Gott) jenseits der Fixsternsphäre. Jedes Element strebt von sich aus an seinen natürlichen Ort. Die schweren Elemente Erde und Wasser nach unten zur Weltmitte, die leichten Elemente nach oben zur Weltperipherie. Ein Stein fällt also nicht deshalb zu Boden, weil er von der Schwerkraft angezogen wird, sondern weil er ein natürliches Bestreben hat, sich zum Zentrum der Welt hin zu bewegen. Dass nun Festes, Flüssiges, Warmes und Kaltes in allen unlebendigen, lebendigen und beseelten Körpern gemischt sind, also keineswegs immer an ihrem natürlichen Ort sind, liegt an den wechselnden Einflüssen des Mondes, der Sonne und der Planeten auf die Erde, die die Elemente zwingen, nicht nur ihrem natürlichen Bewegungsdrang zu folgen, sondern auch andere Bewegungen auszuführen. So zieht die Wärme der Sonne auch das Wasser mit der heißen Luft nach oben. Es bilden sich Wolken. Werden diese zu schwer, folgt das Wasser wieder seinem natürlichen Drang, und es beginnt zu regnen.
Empathische Verbindung durch Beobachtung
Beiden beschriebenen Aspekten der aristotelischen Elementenlehre begegnet man an zahlreichen Stellen der Goetheschen Texte zur Meteorologie. So heißt es am Ende der dritten Strophe seines Gedichtes Howard’s Ehrengedächtnis zusammenfassend über die Prozesse der Wolkenbildung: »Wie Streife steigt, sich ballt, zerflattert, fällt.« Der äußere Gegensatz verweist auf das Leichte und Schwere, der mittlere Gegensatz auf das Zentrieren und Auflösen. Wir haben es also vor allem mit dem Warmen (leicht und auflösend) und dem Kalten (schwer und zusammenziehend) als aktive Gestaltungsqualitäten zu tun. Ihre Wirkungen stellt Goethe in den klassischen kosmischen Gegensatz. So heißt es in der Cirrus-Strophe (Cirruswolken sind hohe Federwolken) desselben Gedichtes: »So fließt zuletzt was unten leicht entstand / Dem Vater oben still in Schoß und Hand.« In der Nimbus-Strophe (Nimbuswolken sind niedrige dichte Regenwolken) dagegen charakterisiert er den herabströmenden Regen, das Gewitter als »der Erde tätig leidendes Geschick!« Zwischen den extremen Regionen des Vater-Göttlichen, nach dem das Warme, und der Erde, nach der das Kalte strebt, spielt sich das Geschehen der Wolkenmetamorphose ab. Die mittlere Region ist die der Luft und des Wassers sowie der schwebenden und fallenden Tropfen und Eiskristalle. Es ist das zwischen feucht und trocken schwingende eigentliche Gebiet der atmosphärischen Erscheinungen, die im Ballen und Zerflattern der Wolkenformen (Schichtwolken, Schäfchenwolken, Haufenwolken) sichtbar werden. Ähnlich wie in seiner Farbenlehre zeigt Goethe in der Witterungslehre, wie man sich durch detaillierte Beobachtung der Naturerscheinungen fähig macht, sich empathisch mit der Umwelt zu verbinden. Ohne diese Fähigkeit würde der Mensch die Natur durch seinen einseitigen Technikgebrauch allmählich verlieren.
Elemente und Temperamente
Die Wahrnehmungs- und Denkschulung am Zusammenspiel der vier Elemente in der Natur eröffnet auch einen Weg, Persönlichkeitstypen nach den vier sogenannten Temperamenten zu unterscheiden. Wärme (Feuer) ist immer impulsgebend verwandelnd, schafft Bedingungen für Neues durch Verzehren des Gegebenen, so auch der Choleriker. Luft reagiert in ihrer Leichte und freien Beweglichkeit unmittelbar auf alle Einflüsse aus ihrer Umgebung und integriert sie in ihr Wirken. Auf seelische Art tut dies der Sanguiniker. Wasser ist anpassungsfähig, bleibt aber in sich gefasst und schützt sein Inneres durch seine Oberfläche, die aber durchlässig bleibt. Gefasstheit in Kombination mit Anpassungsfähigkeit und innerer Beweglichkeit zeichnet den Phlegmatiker aus. Das Feste macht sich durch seine individuelle Binnenstruktur beständig unabhängig von äußeren Einwirkungen – ein typisches Merkmal für Melancholiker.
Vertieft man solche Betrachtungen, entfernt man sich schnell von den altbekannten Karikaturen; dem fassungslos herumbrüllenden Wüterich; dem ewig heiteren Oberflächling; dem trägen, allem Widerstand ausweichenden Stumpfling, sowie dem selbstbezogenen, greinenden Hypochonder. Stattdessen lernt man differenziert zu erfassen, wie individuell Seelisches mit dem allgemeinen Leben in Beziehung treten kann. Das kann insbesondere in der pädagogischen Praxis hilfreich sein.
Der Aufsatz möchte zu übendem Beobachten der vier Elemente anregen, denn, wie Gernot und Hartmut Böhme vor mehr als zwanzig Jahren formulierten, »das Vergessen der Elemente heftete sich an die Versen des technischen Fortschritts; in der Umweltkrise gerät dieser ins Stolpern«. Und »es wäre schon viel gewonnen, wenn man besser verstehen würde, dass sich in der Geschichte der Elemente eine immer verschiedene, niemals linear entwickelte Verwebung der Natur mit menschlicher Praxis ... zeigt«.
Zum Autor: Dr. Martin Basfeld ist Physiker, war Oberstufenlehrer und Dozent in der Lehrerbildung. Heute forscht er frei an den Grundlagen der Anthroposophie, Sinneslehre und Phänomenologie der Wärme.
Literatur:
Aristoteles: Meteorologie. Buch IV. Übers. von Hans Strohm. Berlin 1979; ders.: Über Entstehen und Vergehen. Übers. von Karl Prantl. In: Aristoteles. Werke. Leipzig 1857, Bd. 2.; ders.: Physikvorlesung. Übers. von Hans Wagner, Berlin 1983; ders.: Vom Himmel. Übers. von Olof Gigon. In: Aristoteles: Vom Himmel, Von der Seele, Von der Dichtkunst. München / Zürich 1983; G. und H. Böhme: Feuer Wasser Erde Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente, München 1996; J. W. Goethe: Witterungslehre, Frankfurter Ausgabe, FA I, 25, Frankfurt 1997