Peripherie

Zwischen Convenience und gutem Spielzeug

Erziehungskunst | Sebastian, danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast. Wie bist du zum Waldorfshop gekommen?

Sebastian Neu | Ich komme selbst nicht aus einer Waldorf-geprägten Familie, sondern bin über meine Kinder dahin gekommen, die alle eine Waldorfschule besuchen. Da gab es einen sehr schönen Moment: Während meines Studiums, da wohnten wir noch in Köln, haben wir den Film Eine Brücke in die Welt von Maria Knilli angeschaut. Das war für mich der erste Berührungspunkt mit der Waldorfpädagogik. Damals dachte ich «Wow, so eine Lehrerin hätte ich gerne mal für meine Kinder!» Nach dem Studium wollte ich gerne nach Bayern. Letztlich sind wir nach Landsberg gezogen und haben die Kinder hier bei der Waldorfschule angemeldet. Dann ist mir plötzlich klar geworden, dass meine Kinder jetzt an der Schule sind, wo dieser Film gedreht wurde.

EK | Da war der Gedanke, beim Waldorfshop zu arbeiten, aber noch nicht geweckt …

SN | Nein, beruflich war ich damals noch bei Amazon. Dort habe ich zwar viel gelernt, aber merkte, dass meine privaten Werte doch anders sind als die, die das Unternehmen vertrat. Ich sagte damals zu meiner Frau: «Weißt du, irgendwie würde ich das, was ich da gelernt habe, gerne in einen Werte-getriebenen Kontext stellen». Zwei Jahre später gab es dann wieder so einen Schlüsselmoment. In der Zeit stellte ich mir nochmal die Karriere-Frage, habe auf Facebook die Anzeige gesehen «Mitarbeiter mit Waldorf-Background und E-Commerce Erfahrung gesucht». Es stellte sich heraus, dass der Waldorfshop an einem ganz spannenden Punkt war. Der wurde ja damals vom Waldorfschüler Armin Steuernagel gegründet. Der Shop war lange bei der Firma Waschbär angesiedelt. Als es da 2018 einen Eigentumswechsel gab, entstand die Frage, was passiert nun mit dem Waldorfshop? Und dann kam ich eben auf die Spielfläche: Ich habe den Versand komplett neu ausgerichtet, ein paar Dinge aus meiner Amazon-Erfahrung mitgenommen, wie z.B. die Kundenfreundlichkeit und schnelle Lieferungen. Gleichzeitig wollte ich schauen, was können wir anders machen? Wie können wir anthroposophische Ideen in die Praxis umzusetzen? Wir haben viel ausprobiert. Ein paar Sachen sind gescheitert, andere haben gut funktioniert und ein paar brauchen vielleicht noch ein bisschen Zeit.

EK | Wer sind Eure Kunden?

SN | Es gibt gewisse Trends wie nachhaltiges, pädagogisch wertvolles Spielzeug. Ungefähr ein Drittel unserer Kunden kommt gar nicht aus der Waldorfbewegung, sondern das sind Menschen, die gute pädagogische Materialien suchen, sowohl für Schule als auch Spielzeug oder Bastelmaterialien. Und die finden uns, weil wir ein gutes Sortiment haben und für manche Waldorf auch ein Gütesiegel ist. Wir überlegen auch, wie wir gewisse Elemente der Waldorfpädagogik so einladend machen können, dass es niedrigschwellig für Menschen ist, die entweder Waldorf-Einsteiger:innen sind oder einfach wenig Zeit haben. Da wollen wir gerne Lösungen anbieten, statt ein schlechtes Gewissen zu machen. Zum Beispiel bieten wir ein Set an für das Öltröpfchen-Ritual mit handgetöpferter Schale, Torföl und einem Anleitungsheft.

EK | Was macht gutes Spielzeug aus?

SN | Es gibt einen Satz, mit dem ich gerne darauf antworte:  Gutes Spielzeug ist Spielzeug, mit dem das Kind spielt, nicht durch welches das Kind bespielt wird. Das, finde ich, ist ein guter Grundsatz.

EK | Eure Website gibt es in sechs verschiedenen Sprachen. Wie kommt das?

SN | Wir hatten immer wieder Bestellungen aus Japan, den Niederlanden, Belgien, Frankreich oder Italien. Damals war das knapp ein Prozent des Umsatzes. Dann haben wir die Website auf Englisch übersetzt, um uns diesem offensichtlichen Bedarf zu öffnen. Mittlerweile machen wir zehn bis 15 Prozent unseres Umsatzes im Ausland. Wir haben letztes Jahr in 43 Länder geliefert. Da war wirklich alles dabei – Länder in Afrika, Kambodscha, Japan, China, Taiwan, aber hauptsächlich Länder in Europa.

EK | Du hast eben von anthroposophischen Ideen gesprochen, die ihr in die Arbeit einbringen wolltet bzw. eingebracht habt. Welche sind das? 

SN | Ich glaube, die Grundmaxime ist, dass sich das Unternehmen so ausrichtet, dass man aus einer möglichst freien Entscheidung an einem Projekt arbeitet, in das sich der Einzelne selber einbringen kann, à la «Hier finde ich meinen Wert für mich, hier habe ich das Gefühl, eine Aufgabe zu haben und der gehe ich nach», und das auf einer großen Vertrauensbasis. Wir sind nicht sonderlich hierarchisch aufgebaut, sodass Ideen von oben nach unten durchsickern, sondern der Einkauf entscheidet über das Sortiment, die Logistik darüber, wie sie sich organisiert. Wir haben bei uns Vertrauensurlaub eingeführt, das heißt, Arbeitnehmer:innen haben zwanzig Tage Urlaub. Sie können jedoch so viele Urlaubstage nehmen, wie sie es für notwendig halten. Aber natürlich mit einem verantwortungsvollen Blick darauf, wie das Unternehmen es zum jeweiligen Zeitpunkt verträgt. Es ist also immer wieder ein Spiel zwischen Freiheit und Verantwortung.

Wir unterstützen darüber hinaus die Waldorfpädagogik, indem wir einen gewissen Prozentsatz jedes Euros, den der Waldorfshop und unsere Eigenmarke Waldorfkind umsetzt, an den Bund der Freien Waldorfschulen bezahlen. Weiterhin haben wir vor zwei Jahren die Möglichkeit in unseren Shop implementiert, dass Kunden den Warenkorb aufrunden können und so an die Freunde der Erziehungskunst spenden. In Summe haben wir über die letzten zwei Jahre hier fast 30.000 Euro weitergeleitet.

EK | Was ist aus eurer Perspektive der Traum für die Waldorfwelt?

SN | Die Gründungsidee von Emil Molt war ja, eine gute Schule für die Kinder seiner Arbeiter:innen zu schaffen. Steiner ging darüber hinaus. Er wollte Menschen anders ausbilden, sodass ein gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden kann. Er wollte die Idee der sozialen Dreigliederung in die Welt tragen. Wenn man dem Gedanken folgt, dann gibt es ja nichts Tolleres, als wenn die Waldorfpädagogik expandiert. Das muss aber nicht zwingend heißen, dass es nur immer mehr Waldorfschulen gibt, sondern es geht auch darum, zu schauen, wie wir das, was wir als Waldorfpädagogik definieren, lebendig halten und nicht immer nur Steiner zitierend einschränken. Steiner hat sich eben auch gewünscht, dass sich seine Pädagogik als stete Entwicklung an die aktuellen Lebensrealitäten anpasst. Und da kann, wenn nur ein ganz kleiner Teil davon, eine Aufgabe für uns liegen, und zwar, diese Ideen über das Produkt zu transportieren und Menschen zu inspirieren.

EK | Vielen Dank!

Sebastian Neu, * 1985, Geschäftsführer des Waldorfshops, Vater von drei Waldorfkindern. Hobbies: Wandern und Kochen.

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