Es wird insgesamt viel gefeiert bei Waldorfs. Das beginnt schon mit der Einschulung der neuen Erstklässler in jedem Herbst, liebevoll begleitet von den Eltern, den Kollegen, den Patenklassen und der Schulgemeinschaft, die sich zugleich bewusst wird, dass sie selber ein Jahr weiterrückt. In vielen Schulen gehen die Kinder am ersten Schultag durch ein Blumentor »in die Schule hinein« und werden von der Patenklasse mit einem Lied oder auch einer Brezel begrüßt und von ihrem Klassenlehrer mit einer Geschichte empfangen. So oder anders gehandhabt, zeigt sich hier eine von vielen Festsituationen, welche die Schulzeit begleiten und in der Waldorfschule mit besonderer Aufmerksamkeit gepflegt werden. Zwischen Anfang und Ende der Schulzeit liegt eine Fülle an Festen, die im Jahreszyklus, in den Lebensstufen, in der Schulgeschichte oder im Kulturkreis begründet ist. Das erste Erntedankfest wird schon kurz nach der Einschulung gefeiert, Advents- und Weihnachtszeit folgen – die Feste strukturieren die Schulzeit, halten Traditionen lebendig und geben der Erinnerung Halt. Eine der Besonderheiten an Waldorfschulen ist der Bogen der zwölf Jahre, die jedes Kind an der Schule verbringt. Es erlebt die Übergänge der verschiedenen Jahrgangsstufen, zunächst bei den großen Geschwistern und Mitschülern, dann bei sich und den Klassenkameraden und dann auch rückblickend bei den jüngeren Geschwistern und den nachrückenden Schülern der unteren Klassen.
Einen Tag lang König sein
Ein anderes Merkmal ist die Wandelbarkeit der Feste im Lauf der Jahre. So kommt dem Geburtstag der Kinder in den unteren Klassen eine andere Bedeutung zu als in den mittleren oder oberen Klassen. In den unteren Klassen wird der Geburtstag besonders gewürdigt, das Kind ist König für einen Tag und darf ganz im Mittelpunkt stehen. Im Laufe der Schulzeit versachlicht sich dies schrittweise: in der Mittelstufe stimmt der Lehrer mit der Klasse ein Lied an, in der Oberstufe erwähnt der Lehrer den Geburtstag bei der morgendlichen Begrüßung der Schüler.
Die Jahresfeste leben nur durch die Initiative von Menschen – immer wieder neu. Welche Feste, welche Feiern werden beibehalten? Welche ändern sich mit dem Lebensalter der heranwachsenden Kinder und Jugendlichen? Ein schönes Beispiel sind in diesem Zusammenhang die Faschingsfeiern: In den ersten Schuljahren meist einem dem Alter entsprechenden Motiv folgend – Märchen, Legenden oder Handwerksberufe – wird die Festgestaltung mit den Jahren zunehmend freier und mehr und mehr in die Hände der Schüler gelegt, die, je nach Initiative und Tradition, das Fest gestalten und eventuell eigenständig einen Ball organisieren. Natürlich drücken sich gerade in diesem Fest auch regionale Gewohnheiten aus: der Karneval wird an einer Kölner Schule anders gefeiert als die Fasnet in Freiburg. In Berlin wird Fasching eher in den unteren Klassen als Kinderfest gefeiert, in den süddeutschen Schulen durchaus einmal als Tanzabend der Oberstufe und der Schulgemeinschaft.
Andere Feste werden allerorten in ähnlichem Umfeld gefeiert. Das St. Martinsfest mit dem Laternenumzug ist genauso fester Bestandteil jeder Waldorfschule wie das Adventsgärtlein. Ebenso das Michaelifest, das an vielen Schulen einen eher ernsten Charakter hat und in der Unterstufe oft ganz bildhaft als Kampf Michaels gegen den Drachen und mit »Mut-Spielen« gestaltet wird. In der Oberstufe kann dieses Fest die Form einer gemeinsam mit den Schülern gestalteten Feier und der Schilderung einer besonderen Biographie annehmen. Ob aber auch jede Schule ein Johannifest kennt? An unserer Schule hat dieses Fest eine lange Tradition mit einem großen Feuer und dem Sprung über die Glut!
Apfelblütenfest und Fischerstechen
Große Feste, kleine Feiern: Neben den christlichen Jahresfesten gibt es Feste, die man auch an Waldorfschulen feiert, weil sie im Umkreis der Schule tradiert sind, wie zum Beispiel ein Apfelblütenfest im Alten Land, das Fischerstechen in Ulm oder ein besonderes Stadtfest, das eben auch im Umfeld der Schule gefeiert wird. Bezeichnend für die Waldorfschulen sind auch die Monatsfeiern. Früher waren sie, was ihr Name besagt, heute sind sie fast überall Quartals- oder Halbjahresfeiern, die vor allem von den Aktivitäten der Unterstufe leben. Ursprünglich sollten Beiträge aus allen Jahrgangsstufen auf die Bühne gebracht werden – als eine Art Werkschau aus dem Unterricht. An diesem Beispiel zeigt sich gut, wie Änderungen im äußeren Schulumfeld direkten Einfluss auf das Schulleben haben. Natürlich gab es Gründe, warum an nahezu allen Waldorfschulen der Schulsamstag abgeschafft wurde. Dadurch wurde es aber schwer, die nun verkürzten Epochen durch regelmäßige Monatsfeiern nochmals zu verkürzen.
Feste geben Initiativkraft
Es ist nicht einfach, Festen die notwendige Leichtigkeit, aber auch Tiefe zu geben. Wenn es gelingt, gibt jedes Fest der Schulgemeinschaft Kraft, strahlt positiv in das Umfeld der Schule aus und schenkt neben einer Bestärkung der Gemeinschaft auch Impulse für neue Aktivitäten. Zu unserem Jubiläum haben wir an der Mannheimer Waldorfschule neben einer großen Eurythmieaufführung, einem Galaabend mit Beiträgen von ehemaligen Schülern, von Lehrern, Eltern und Freunden der Schule auch ein Musical, von einem Kollegen selbst geschrieben, mit der Beteiligung der ganzen Schulgemeinschaft aufgeführt. Natürlich waren die Proben von Höhen und Tiefen begleitet, aber in den Aufführungen entfaltete sich ein besonderer Zauber, der den Mitwirkenden ebenso wie den Zuschauern das Gefühl von besonderer Verbundenheit schenkte, zu dieser Zeit, an diesem Ort und mit diesen Menschen ein besonderes Erlebnis zu teilen. Daraus erwuchsen für das neue Schuljahr neue Initiativen wie zum Beispiel der erste Kleinkunstabend im neuen Musiksaal, der dafür mit der notwendigen Veranstaltungstechnik ausgerüstet wurde.
Feiern des Kollegiums
Einen ganz anderen Charakter haben die stillen Feiern des Kollegiums, die regelmäßig stattfinden. Zu ihnen gehören zum Beispiel die Totengedenken zur Würdigung der Menschen, die mit der Schule geistig verbunden sind. Auch aus dem Unterricht heraus gibt es diese stillen Stunden: An vielen Waldorfschulen werden von Lehrern die sogenannten Sonntagshandlungen des frei-christlichen Religionsunterrichtes durchgeführt, in dem die Kinder, die diesen Unterricht besuchen, einen Moment der Ruhe erleben können. So schön es ist, wenn sich daran viele Elternhäuser mit ihren Kindern beteiligen, so entscheidend ist es, dass sie überhaupt stattfinden und eine besondere Qualität der Pflege des religiösen Lebens in die Schule bringen. Auch wenn nur wenige Schüler dieses Angebot annehmen, ist es wichtig, dass es besteht und von Menschen verantwortungsvoll getragen wird.
Tradition muss lebendig sein
Wie schwer es ist, Traditionen lebendig weiterzuführen, ist an den Weihnachtsspielen zu erleben. Es bedarf Jahr für Jahr einer großen Entschlossenheit und Willenskraft, die Spielkumpanei zusammenzustellen und die Stücke so einzuüben, dass sie ihre ganze Kraft entfalten können. Manche Schulen führen die Spiele nicht mehr komplett, sondern im Wechsel auf, andere beziehen Eltern und Oberstufenschüler ein, oder geben einer Kumpanei von außerhalb die Bühne frei. Auch die Weihnachtsfeiern fordern oft viel Vorbereitung und Phantasie, können dann aber inmitten einer Zeit großer Anforderungen einen wertvollen Raum öffnen.
Im Arbeitskreis »Feste und Feiern« erleben wir immer wieder, dass ein Fest ohne intensive Vorbereitung oft gar nicht wirklich gegriffen werden kann. Je hektischer die Verhältnisse werden, in denen wir leben, umso wichtiger ist eine gute Hinarbeit auf das Fest. Organisatorisch, aber auch um die Schulgemeinschaft wirklich mitzunehmen. Auch für die Feste im Rahmen der Klasse gehört für die Kinder die Vorbereitung auf das Fest wesentlich dazu. Das kann sich in der Gestaltung des Jahreszeitentisches äußern, im Schmücken des Klassenzimmers, in den Geschichten, den Themen des Unterrichts. Es gibt schon im Vorfeld besondere Speisen. Zuhause werden begleitend die Wohnung oder der Garten geschmückt.
Im besten Fall gehen wir lange vor dem eigentlichen Festdatum mit dem Thema des Festes um. Wir haben dann die Möglichkeit, einen neuen Aspekt zu finden oder es innerlich ganz neu zu greifen. Und da wir uns selber weiterentwickeln, stehen wir auch in einer neuen Beziehung zum Thema und verändern uns und unsere Haltung dazu. Wagen wir immer wieder neue Denk-Ansätze, kann Neues dadurch Einzug halten und können Traditionen lebendig erfüllt werden.
So gesehen muss man manchmal auch eine neue Form für etablierte Feste finden oder eben Kraft für ganz etwas Neues entwickeln. Aus dem jahrelang gefeierten Sommerfest wird dann vielleicht in neuem Gewand ein schönes Herbstfest. Bei all diesen Veranstaltungen bewahrheitet sich die Aussage, dass Tradition nicht das Bewahren der Asche, sondern das Weitertragen der Glut sein sollte.
Wo es gelingt, die Feste mit ganzem Herzen zu feiern, entwickelt jede Schule eine Strahlkraft nach innen und nach außen.
Zum Autor: Sebastian Berg ist Öffentlichkeitsarbeiter an der Freien Waldorfschule Mannheim