Mutterliebe

Ute Hallaschka

»I am mother« ist eine Dystopie und zugleich ein Kammerspiel. In einer komplett abgeschlossenen Bunkeranlage wächst ein kleines Mädchen auf, das von einer Robotermutter betreut wird. Der Zuschauer erfährt zunächst nichts von der untergegangenen Außenwelt. Der australische Regisseur Grant Sputore erzählt konsequent aus der Perspektive des Kindes. Diese Filmbilder sind so geartet, dass sie von Anfang an wehtun. Tochter, wie das Kind genannt wird, kennt keine andere Welt und geht mit Mutter, dem Robot so um, wie es ein Kind tut. Voll Vertrauen, mit inniger Zuwendung spricht das Kind mit dem Maschinenwesen und berührt es zärtlich. Mutter wiederum kann nicht nur sprechen, sondern in die Arme nehmen, trösten, verstehen – erziehen. 

Es ist wirklich unglaublich, was im Zuschauen mit einem selbst geschieht – man beginnt, an die Selbstlosigkeit der Maschine zu glauben. Sie scheint programmiert, für die höchsten Ideale von Menschlichkeit zu sorgen, ihre Idee ist Mutterliebe. Der Film verzichtet auf jede Illusion im Bild. Mutter hat kein menschenähnliches Antlitz, sie ist eine kompakte Maschine. Umso suggestiver die Wirkung der Sprache, ihre Stimme (im Original Rose Byrne).

Das, was unser Seelenleben charakterisiert, die Bewusstseinskraft, mit der wir Entscheidungen, Urteile, Handlungen reflektieren, ist der Maschine mitgegeben. In diesem Sinne »erleidet« auch sie alles, was das gegenseitige Verhältnis angeht. Sie müsse erst lernen, eine gute Mutter zu sein, so eine kummervoll vorgebrachte Äußerung. Ja, es ist wahr, man hat in der ersten Filmhälfte beinah soviel Mitleid mit der Maschine wie mit dem Kind. Schrecklich genug diese Erfahrung! Wer sich für immun hält in Bezug auf technische Manipulation hat hier hervorragende Gelegenheit zum Selbstversuch.

In der zweiten Hälfte wandelt sich der Film zum Thriller. Tochter (Clara Rugaard) steckt gerade mitten im Abitur – die Robotmutter veranstaltet auch qualitativ hochwertigen Unterricht von Ethik bis Technik – da dringt eine Fremde aus der Außenwelt ein und stellt alles Bisherige in Frage. Wieder kann das Publikum sich ans eigene Seelenleben halten, es geht um die drängende Frage ob die Fremde Recht hat, mit der Bosheit des Maschinenwesens, oder ob sie – wie Mutter behauptet – selbst verblendet, von menschlicher Bosheit des Egoismus, der Tochter schaden will. Im letzten Teil stürzt der Film scheinbar ins allzu Unlogische der Auflösung. Aber das kann man auch anders sehen – nicht zuletzt mit der Frage, was wir (noch) für Science Fiction halten und was bereits für Realitätsbeschreibung. 

Definitiv entsteht menschliches Leben inzwischen außerhalb menschlicher Leiblichkeit, ebenso sind in der Praxis bereits Pflegeroboter im Einsatz und aktuell berät eine Kommission im Deutschen Bundestag über die moralisch-ethischen Kriterien, die man dem selbstfahrenden Auto der Zukunft vermitteln soll, damit es weiß, wen es im Zweifelsfall totfährt.

Was man jedenfalls nicht oft erlebt: nach der Vorstellung stehen die Pressevertreter im Foyer, mit dem offensichtlichen Bedürfnis miteinander zu reden. Eine Frau rennt raus und schreit: »Quatsch«. Alle anderen sind sich im Urteil einig: Darüber muss ich noch nachdenken! Das gehört mit zum Besten, was ein Film bewirken kann.

I am Mother. Science Fiction-Film, Thriller. 154 Min. Australien 2019. Filmstart 22.8.2019