Film

River

Ute Hallaschka
River: Bildschirmfoto

Es sind einzigartige Bildkompositionen: aus dem Weltraum ebenso wie aus halsbrecherischen Perspektiven der Nähe, die dem Leben der irdischen Wasserläufe folgen. Ein Weg durch die Zeit, die bekanntlich fließt wie ein Gewässer. Von den Anfängen der Erdgeschichte, im Gestein abgelagert, bis zur aktuellen Technik und Kultureinwirkung menschlicher Entwicklung.

Der Sprecher aus dem Off des rund einstündigen Films (OmU) ist Willem Dafoe, der bereits bei Mountain beteiligt war. Dazu hören wir Musik vom Australian Chamber Orchestra, von Johann Sebastian Bach bis zu modernen Kompositionen des indigenen Musikers William Barton.

»Ich wollte Staunen erwecken« – das ist der Regisseurin mehr als gelungen. Die vorangestellte Gedichtzeile von W.H. Auden bringt es auf den Punkt: »Tausende haben ohne Liebe gelebt, nicht einer ohne Wasser.«

Es ist unser Leben, was wir in diesem Film sehen. Flüsse als Bildhauer der Erde haben einst den Schauplatz unseres Daseins gestaltet. »Als der erste Regen fiel, erwachte die Erde.« In allen alten Kulturen wurde das Wesen des Wassers geliebt und verehrt. Bodies of water, wie die körperliche Erscheinung der Gewässer in Englisch heißt. Als Arterie der Menschheit tragen sie substanziell unser Leben. Wie wir mit ihnen umgehen, diesen Engeln unseres Daseins, ist bekannt. Wir verletzen und schänden sie, respektieren nicht die Würde ihrer Natur. Doch zu keiner Zeit hebt sich im Film ein moraliner Zeigefinger. Es sind einfach atemberaubend schöne Bilder, selbst wenn sie den Schrecken zeigen. Dazu die poetischen Texte im musikalischen Fluss, wie eine antike Tragödie.

Was dieser Film mühelos und eindringlich vermittelt ist die Seele der Erde. Das Staunen erzeugt eine Rührung, die nicht sentimental, sondern bewusstseinsfördernd ist. Dennoch lässt sich kaum verhindern, dass Tränen fließen, dabei ist nicht sicher, ob es Freudentränen sind, angesichts dieser Wunder oder Trauer ist, wie wir damit umgehen. Das Zukunftsthema Wasser betrifft uns individuell. »Wir müssen uns fragen«, heißt es im Film, »ob wir gute Vorfahren sind?« Das ist tatsächlich eine weitergehende Kulturfrage. Denn alle Nachhaltigkeitsgedanken der zukünftigen Energiegewinnung speisen sich nicht unbedingt aus Herzenskraft. Die gehört aber dazu, wenn wir nicht fortfahren wollen mit dem Plündern der Erde.

Im Lauf der Recherche zu dieser Dokumentation ergaben sich verblüffende Fakten, über die die Crew selbst staunte. Die Tatsache, dass die größten Dämme der Welt inzwischen so viel Wasser aufgestaut haben, dass sich dadurch die Rotation der Erdachse verlangsamt hat. Was das für kosmische Auswirkungen hat, das wissen wir nicht. Was wir wissen: »Staudämme lassen Flüsse ertrinken«. Wir sehen die Fische vergeblich an den Betonwänden emporspringen, auf dem Rückweg zu ihrem Ursprung. Am Ende ist es wie eine Erlösung, wenn im Rahmen einer Renaturierung ein Damm gesprengt wird und die Kraft des Wassers sich ihren Weg ins Freie bahnt. Zu den letzten Bildern, der Mündung im Meer, als Tod des Flusses im Ozean, spricht der Text von Reinkarnation. Der Auferstehung des Wassers in den Wolken. »Es sind Flüsse im Himmel«.

Ich kenne keinen Film, der so klar und wunderschön das übersinnliche Leben in sinnlichen Bildern vermittelt.

Regie & Drehbuch: Jennifer Peedom, Joseph Nizeti, Buch: Robert Macfarlane, Produktion: Jo-Anne McGowan, Jennifer Peedom, John Smithson, Erzählt von: Willem Dafoe, Kamera: Yann Arthus-Bertrand, Ben Knight, Tongestaltung: Robert Mackenzie, Komponist: Richard Tognetti, William Barton, Piers Burbrook de Vere, Schnitt: Simon Njoo Ase. AU 2021, 75 min., Farbe

https://www.polyfilm.at/film/river/

 

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