Steiners »Sprache des Handelns«

Klaus Rohrbach

Von Zeit zu Zeit wird die Frage nach der gerechten oder angemessenen Bezahlung von Waldorflehrern neu diskutiert. Das ist nicht verwunderlich. Viele Eltern und auch die Lehrer empfinden die Waldorfgehälter im Vergleich zur Besoldung staatlicher Pädagogen als zu gering, zumal ja zusätzlich zur reinen Unterrichtstätigkeit und der dazu notwendigen Vor- und Nachbereitung, die Konferenzen und die zeitaufwändige Selbstverwaltung hinzukommen. Wird dies alles bei der Gehaltsfrage mitbedacht? Und dann gibt es noch die Forderung Rudolf Steiners, dass in einem gesunden und zukunftsfähigen sozialen Organismus Arbeit und Einkommen vollständig getrennt werden müssten. Dies widerspricht – scheinbar – dem heutigen gesunden Menschenverstand. Man wird doch für seine Arbeit bezahlt! Jahrhundertelange Kämpfe der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie zeugen vom Kampf um die gerechte Bezahlung der Arbeit.

Trennung von Arbeit und Einkommen

Steiner ist bei seinen Überlegungen allerdings nie von irgendwelchen Theorien oder Programmen ausgegangen, sondern immer von den realen sozialen Phänomenen. In seinem grundlegenden Werk »Die Kernpunkte der sozialen Frage« (1919) beschreibt er, dass nicht die Arbeit, sondern nur die Erträgnisse dieser Arbeit, nämlich die Waren und Dienstleistungen, einen Wert haben und entsprechend verteilt oder bezahlt werden können. Die Arbeit selbst – nach Steiner eine geistige Tätigkeit, mehr oder weniger klug, kreativ oder aber routiniert oder gar schlecht durchgeführt – ist prinzipiell unbezahlbar. Lediglich die Erträgnisse lassen sich in Geld beziffern. So kann ein Künstler, ein Komponist, ein Schriftsteller jahrelang an einem Werk arbeiten und wird schließlich doch nicht dafür bezahlt, wenn das Werk niemandem gefällt. Und umgekehrt: Ein musikalischer Einfall kann zu einem Hit führen, der Jahrzehnte lang hohe Tantiemen sichert. Auch beim Handwerk gibt es bessere und geschicktere Arbeiter, aber auch durchschnittliche oder gar unbegabte; die Leistung wird vom Auftraggeber in der Regel gleich bezahlt nach einer vorher ausgemachten Vereinbarung (Stundenlohn plus Kfz-Kostenpauschale, Mehrwertsteuer). Das Ergebnis, die Ware oder Dienstleistung, wird bezahlt und hat einen Wert, nicht die Arbeit selbst. Nach Rudolf Steiner sollen nun die Erträgnisse der gemeinsam erarbeiteten oder erwirtschafteten Waren und Dienstleistungen an die Mitarbeiter verteilt werden. Diese Gehälter müssen dabei so bemessen sein, dass alle Mitarbeiter einer Firma mit ihren Familien ein angemessenes Auskommen haben und damit in der Lage sind, weiterhin arbeiten zu können und ihre Fähigkeiten als Mensch erneut in die Arbeitsprozesse einbringen zu können. Das heißt nicht, dass nun alle das Gleiche verdienen müssen. Wer mehr Verantwortung trägt, zum Beispiel als Leiter oder Vorgesetzter, kann und soll auch einen größeren Anteil der erwirtschafteten Erträge bekommen; nur muss der Verteilungsmodus vorher besprochen und gemeinsam vereinbart worden sein. Ebenso sollte geregelt werden, was bei steigenden oder umgekehrt bei sinkenden Erträgen geschehen soll.

Unterricht als »Ware«?

Auch Lehrer produzieren eine »Ware«, indem sie den Schülern Fähigkeiten und Wissen vermitteln. Auch sie müssen ein Gehalt bekommen, von dem sie angemessen leben können, damit weiterhin Unterricht stattfinden kann.

In vielen Waldorfschulen herrscht nun das Ideal, dass alle Lehrer das gleiche Gehalt bekommen sollen (meist ergänzt durch Ehegattenzulage und Kindergeld) bei einem sogenannten vollen Deputat. Das können 23 oder 24 Unterrichtsstunden pro Woche sein. Dazu kommt dann – gleichsam unbegrenzt und in der Regel ohne zusätzliche Vergütung – die Mitarbeit in der Selbstverwaltung, die besonders in der Aufbauphase einer Schule viel Idealismus verlangt. Es stellt sich dabei die berechtigte Frage, ob diese an vielen Waldorfschulen verbreitete Maxime, dass die zusätzliche Verwaltungsarbeit und Verantwortung unvergütet bleibt, Steiners ursprünglichen Intentionen entspricht. Er meinte übrigens damals in den ersten Jahren der Entwicklung der Waldorfschule, dass etwa zwölf bis 16 oder 17 Unterrichtsstunden genug seien (vgl. Konferenzen, GA 300 a-c). Die sogenannte »Ware«, die in einer Schule entsteht, ist natürlich eine Dienstleistung: der Unterricht und die Selbstverwaltung. Diese soll nun nicht gekauft oder bezahlt, sondern ermöglicht werden. Deshalb weist der Staat finanzielle Mittel an, und die Eltern überweisen monatlich ein Schulgeld; aber nicht für den Unterricht des eigenen Kindes, sondern dafür, dass die Schule und der Unterricht – als Institution des freien Geisteslebens und mit Dienstleistungscharakter – überhaupt existieren können. Das Geld ermöglicht die Schule als solche. Über seine Verteilung (Gehälter) kann dann das Kollegium zusammen mit dem Vorstand entscheiden.

Wie war es damals?

In den letzten Jahren hat es zur Gehaltsfrage eine Reihe von neuen Überlegungen gegeben. Viele Schulen probieren neue Modelle aus. In diesem Zusammenhang könnte es aufschlussreich sein, zu erfahren, wie Steiner und das Kollegium der ersten Waldorfschule damals nach 1919 in Stuttgart die Gehaltsfrage regelten. Es gibt eine Darstellung der frühen Verhältnisse durch den Stuttgarter Waldorflehrer Hans Rebmann (1912-1999); sie findet sich als Anhang eines Typoskripts »Zur Gehaltsregelung an Waldorfschulen«, in dem Rebmann einen in vielen Jahren erarbeiteten Vorschlag einer neuen Gehaltsregelung formuliert hat. Dabei versucht er, alle Aufgaben und Verantwortlichkeiten innerhalb des Schulorganismus mit neutralen Einheiten und einem Verteilerschlüssel so zu bewerten, dass dann als Summe ein angemessenes Deputat bestimmt werden kann und damit eine gerechte Verteilung des Budgets. Wie sah nun die Gehaltsregelung damals in den Jahren nach 1919 aus?

Zur Gehaltsfrage in der ersten Waldorfschule

(von Dr. Hans Rebmann / gekürzt)

Einen großen Teil der nachfolgenden Schilderung verdanke ich Fräulein Sczeppainz (1901-1979), die von 1922 bis zum Verbot der Schule 1938 und dann, nach der Wiedereröffnung, 1945 bis 1968 die Buchhaltung besorgte. (...)

Als sie ihre Tätigkeit an der Schule aufnahm, existierte bereits eine feste Gehaltsordnung, nach welcher alle Lehrer gleich honoriert wurden. Es gab eine Verheiratetenzulage und Kinderzulagen, die aber nicht gestaffelt waren. Die Gehaltsgespräche bei der Anstellung führten Herr Molt und Herr Stockmeyer. Es existierten damals drei Funktionszulagen:

  1. Herr Stockmeyer für die gesamte Verwaltung,
  2. für die Verwaltungsräte, die damals meist auch die ganze Konferenz führten,
  3. für den Schularzt Dr. Kolisko. Dieser verwendete die Zulage restlos zum Ausbau des Arztzimmers.

Da diese Ordnung noch zu Lebzeiten Dr. Steiners eingerichtet wurde, ist anzunehmen, dass er sie, angesichts seiner häufigen Besuche in der Schule, kannte und billigte. Trotz der damals oft verzweifelten Finanzsituation wurden Tätigkeiten (Leistungen) in der Verwaltung und der Schulführung honoriert! 1928 oder 1929, zur Zeit der Weltwirtschaftskrise und der größten Arbeitslosigkeit, wurde Herr Stockmeyer in der Verwaltung durch Herrn Bindel und Herrn Killian abgelöst. Herr Bindel war zuständig für die Regelung der Gehälter, Herr Killian überwachte den Eingang der Schulgelder. Herr Bindel führte ein gestaffeltes Kindergeld ein, ebenso eine Staffelung der Alterszulage. Nach Wiedereröffnung der Schule 1945 übernahm dann Herr Leinhas den Vorsitz im Vorstand des Waldorfschulvereins [...]. Die Gehaltsfrage spielte zunächst keine große Rolle, da ausreichend Geld vorhanden war. Die Schwierigkeiten begannen erst 1948 mit der Währungsreform. Es musste eine dreimalige Gehaltskürzung vorgenommen werden, zuerst 10 % dann 20 % und 25 % (oder zweimal 20 %?). Die Gehälter waren damit wiederum auf das Existenzminimum gesunken. Die missliche Gehaltssituation wurde erst besser, als der Schule aufgrund des Privatschulgesetzes (1956) zusätzliche, staatliche Mittel zuflossen. Heute, 1987, werden die Ausgaben der Schule zu etwa 2/3 vom Staat und nur 1/3 von den Eltern getragen. Eine gute Entwicklung?

Stuttgart, 11.9.1987

Dr. Hans Rebmann

Es gab also offenbar ein gemischtes System von einerseits gleicher Bezahlung aller Lehrer trotz unterschiedlich vieler Unterrichtsstunden und dann auch noch eine zusätzliche Vergütung von bestimmten Aufgaben, die sogenannten Funktionszulagen. Das waren die Tätigkeiten der gesamten Verwaltung (heute wohl der Geschäftsführung), die Arbeit der Verwaltungsräte, die damals auch die Konferenz leiteten, und die Arbeit des Schularztes. Überliefert ist auch, dass Lehrer, die bei den Weihnachtsspielen mitmachten, zehn Mark extra bekamen – was damals viel Geld war. Die später übliche Regelung, dass alle Lehrer einheitlich bezahlt werden, unabhängig von der erbrachten zusätzlichen Leistung, wurde erst nach Rudolf Steiners Zeit durch Ernst Bindel eingeführt.

Was kann uns das heute sagen?

Es wäre natürlich verfehlt, das beschriebene – jetzt 100 Jahre alte – Konzept der ersten Waldorfschule heute als Vorbild zu nehmen. Es ist historisch. Doch etwas anderes lässt sich ableiten. Steiner entwickelte in seinen sozialwissenschaftlichen Schriften und Vorträgen zwar eine Fülle von Gesichtspunkten zur Gestaltung eines gesunden sozialen Organismus, er formulierte jedoch bewusst keine Direktiven oder Rezepte. Das jeweils Richtige muss jede soziale Gemeinschaft, also ein Waldorfkollegium, neu erarbeiten und aushandeln. Das kostet viel Zeit und Mühe, und es bedarf immer wieder der subtilen Anpassung, ja mitunter sogar der völlig neuen Gestaltung gemäß den Notwendigkeiten der Zeit.

Steiner zeigte sich damals bei einer jungen, idealistisch gesinnten Lehrerin besorgt hinsichtlich ihres sehr bescheidenen Gehalts; in einem anderen Fall meinte er, dass ein Lehrer wegen seiner besonderen Lebensumstände sicherlich ein höheres Gehalt brauche. Er entwickelte aber selbst offenbar keine spezielle Gehaltsordnung für die Stuttgarter Schule, sondern überließ dies dem Kollegium. Das kann als eine »Sprache des Handelns« verstanden werden: Er hieß jede Ordnung für richtig, wenn sie das Kollegium gemeinsam und transparent für alle Beteiligten entworfen hatte und sie nicht unlauteren Absichten entsprang. Die Entwicklung der Waldorfschulen zeigt in den letzten Jahrzehnten zudem, dass es die eine richtige Schulstruktur für alle nicht gibt. Die alten Formen sind vielfach hohl geworden. Mit Hilfe von Schulberatern und oft über schmerzliche Umwege hinweg muss jede Waldorfschule heute ihre eigene Form der Organisation entwickeln, der jeweiligen Zeit und Mentalität gemäß und auch den pädagogischen Zielsetzungen entsprechend. Dabei müssen besonders die individuellen Fähigkeiten – und auch Begrenztheiten – der einzelnen Persönlichkeiten erkannt werden und dies alles im Einklang mit dem jeweiligen Schulgeist. Dann können sich alle mit ihrer selbst gestalteten und verwalteten Schule uneingeschränkt identifizieren.

Zum Autor: Klaus Rohrbach war 38 Jahre lang Oberstufenlehrer an der Freien Waldorfschule Würzburg mit den Fächern Deutsch, Geographie und Ethik; jetzt noch weiterhin in der Lehrerbildung tätig; verschiedene Veröffentlichungen.