Frei statt festgemauert. Geschichte einer Wanderglocke

Rüdiger Seefried

2001 gießen zehn Schülerinnen und Schüler der Freien Waldorfschule in Freiburg-Wiehre eine Glocke. Die 35 Kilogramm schwere, mit Sinnspruch und Motiv versehene Glocke entstand mit Schülern des »praktisch-künstlerisches Zugs« anlässlich der Eröffnung einer Werklehrertagung.

Das Projekt mit dem Motto »Zeitreise Handwerk« wird bei einem Wettbewerb der Handwerkskammer Freiburg mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Es ist ein Projekt, das mich nicht mehr loslässt, findet doch drei Jahre später unter dem Motto »Im Mittelpunkt der Mensch« eine landesweite Aktionswoche der Waldorfschulen statt, die Grund zum Nachdenken gibt: Wie gehen wir mit unserer Schule an die Öffentlichkeit? Was wollen wir mitteilen? Könnte man so ein Glockenprojekt noch einmal auf die Beine stellen? Eine Frage, die wir schnell beantworten konnten. Denn da ich den Glockengießer Peter Glasbrenner, der auch schon 2001 das Projekt begleitet hatte, dafür gewinnen konnte, waren die technischen und handwerklichen Voraussetzungen schon mal erfüllt. Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse gingen mir mit großem Eifer zur Hand. Als Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon auch nichts gegen unseren Vorschlag einzuwenden hatte, die Glocke auf dem Rathausplatz zu gießen, konnte das »Projekt Wanderglocke« starten.

Warum Wanderglocke? Wo soll es »hinwandern« und was soll es dort bewirken, das 90 Kilogramm schwere Kleinod? Ich fragte Menschen in der Stadt, was sie mit dem Tönen einer Glocke verbinden, und oft war die Rede von einem »inneren Anhalten«. Diese Möglichkeit wollen wir mit der Glocke den Menschen in einer lauter werdenden Welt geben. Und damit sie auch viele Menschen erreichen kann, wollen wir mit einer Glocke, die weitergegeben wird, Verbindungen schaffen. Fast jede Glocke, die gegossen wird, ist für einen bestimmten Ort vorgesehen. Unsere hingegen ist dafür gegossen, durch die Welt zu reisen. Sie wird nicht gemietet, sondern von den Menschen, die sie gerade haben, weitergeleitet. Schulen, Vereine, Bürgerinitiativen, die mit der Wanderglocke ein Projekt einläuten möchten, »das der Bildung und Gesundheit, dem Wohlergehen und dem Frieden diene«, können für eine Zeit lang in ihren Besitz kommen.

Wie die Glocke hergestellt wird

Eine Glocke entsteht in drei Phasen: Zuerst wird der Glockenkern durch die »Glockenrippe« geformt, dann wird für den Auftrag der Inschrift und der Motive die Modellglocke geformt, bevor schließlich der Glockenmantel modelliert wird. Für Motiv und Beschriftung durfte jeder Schüler einen Entwurf einreichen. Als Leitspruch entschieden sich schließlich alle gemeinsam für: »Wer sich bewähren will einst im Leben, Mut muss er haben und ständig streben«. Diese Worte schrieben die Schüler auf Wachsplatten, schnitten sie aus und montierten sie auf die mit Rindertalg bestrichene Modellglocke. Auch das Motiv »Im Mittelpunkt der Mensch« wurde künstlerisch umgesetzt und montiert. Die Unterschrift der Schüler, eine kleine Glocke mit Ärmchen und Beinchen durfte dabei nicht fehlen. Darauf kam der Lehm für den Glockenmantel. Sobald dieser fertiggestellt war, wurden Kern und Mantel voneinander getrennt, die Modellglocke entfernt und das Wachs mit einem Bunsenbrenner ausgeschmolzen. Die zusammengesetzte Gussform schließlich wurde in Lehm eingegraben, um sie für den Guss vorzubereiten, der am 29. September 2004 auf dem Freiburger Rathausplatz stattfand. Wer nun gerne die Wanderglocke eine Zeit lang bei sich haben möchte, hat zwei Möglichkeiten: Er wird »ausgesucht« oder meldet selbst Bedarf an.

Voraussetzungen sind, die Glocke während ihres Aufenthaltes zu versichern und für den Weitertransport zur nächsten Station ihrer Reise durch die Welt zu sorgen.

Inklusive Glockenstuhl wiegt sie rund 600 Kilogramm und ist 2,50 Meter hoch. Der Glockenstuhl passt auf drei Europaletten (2,4 x 1,2 m). Der jeweilige Glockenbesitzer soll per E-Mail einen kurzen Bericht in Wort und Bild an mich senden – damit wir erfahren, wohin die Reise der Wanderglocke geht.

Mein Anliegen, mit der Glocke Verbindungen zu schaffen, fand Anklang. Gestartet im Februar 2011 auf der didacta in Stuttgart ging ihre Reise über den Möhrlehof am Bodensee, wo sie mit ihrer aussöhnenden elementaren Kraft gute Arbeit leistete, nach Österreich. Im Kulturzentrum Salzburg verzauberte sie den Ort St. Jakob am Thurn mit ihren Klängen. Im Juli 2012 war die Glocke zu Gast an der Salzburger Rudolf-Steiner-Schule. Der Lehrer Michael Walter schrieb darüber: »Kaum war die Glocke im Pausenhof aufgestellt, wollten alle Schüler sie gleich ausprobieren. Ein wunderbarer Klang tönte im Hof … Ein großes Geschenk für die Kleinen – und für alle, welche dieses Geschenk dankbar annehmen.«

Info: Rüdiger Seefried, Freie Waldorfschule Freiburg-Wiehre, Schwimmbadstr. 29, D-79100 Freiburg i. Br.,  Tel. +49 (0)761/79173-0, Fax +49 (0)761/79173-29, E-Mail: ruediger_seefried@web.de