»Ich hatte als Kind einen Traum. Ich wollte eine Schule gründen und alle Welt zu mir einladen. Jetzt kam die ganze Welt mit mir hier zusammen, damit ich Lehrerin werden konnte«. Stolz hält Kateryna Ivinska ihre Masterurkunde in Händen. 15 Monate intensiven Studiums liegen hinter der 27-jährigen Ukrainerin aus Slavyansk. Für 15 Monate wurde Stuttgart eine neue Heimat für sie.
26 frischgebackene Master-Absolventen und -absolventinnen in Waldorfpädagogik aus 19 verschiedenen Nationen beendeten kurz vor Weihnachten erfolgreich ihre Studienzeit an der Freien Hochschule Stuttgart, die zum zweiten Mal den postgradualen Masterkurs in englischer Sprache anbot. In vielen Ländern gibt es keine grundständige Ausbildung für Waldorfpädagogik und so hat dieser Studiengang weltweit eine einzigartige Stellung.
»Mein Interesse an Pädagogik erwachte, als meine Tochter in den Kindergarten kam«, erzählt Kaoni Ski Kochi aus Japan. Das staatliche Bildungssystem kam für sie und ihren Mann nicht in Frage. Die Waldorfpädagogik begeisterte die 45-jährige Sozialarbeiterin, »aber Waldorfschulen sind in Japan nur etwas für Reiche. Und so wollte ich wissen, wie das in Europa ist.« Zusammen mit Kind und Mann wagte sie das Abenteuer, ein Studium in Deutschland zu beginnen – und damit einen beruflichen Neubeginn. Die Tochter besuchte den Waldorfkindergarten, der Mann fand Arbeit im Schulgarten in unmittelbarer Nähe. Jetzt ist sie selber Waldorflehrerin geworden. Ein Jahr wird die Familie zunächst noch in Deutschland bleiben, um die Sprache zu erlernen, die die kleine Tochter schon gut beherrscht. Kaoni macht nun ein Praxisjahr an der Michael-Bauer-Schule in Stuttgart.
Auch für David Seidel aus Neuseeland bedeutete das Studium in Stuttgart beruflich eine komplette Neuorientierung. »Es hat mir die Augen geöffnet, was es bedeutet, wirklich ein Lehrer zu sein. Die Beschäftigung mit Waldorfpädagogik führt dazu, sich mit den tieferen Fragen rund um das Leben zu beschäftigen«, erzählt der ehemalige Waldorfschüler. Nach einem Marketing-Studium besann sich der 23-Jährige auf Schule und Elternhaus und wollte wissen, was Anthroposophie eigentlich ist. Jetzt möchte er Klassenlehrer in seiner Heimat werden mit dem Zusatzfach Sport.
Eine internationale Gemeinschaft
Sie kamen aus Malaysia, China, Mexiko, Brasilien, Irland oder Israel. Sie studierten und wohnten zusammen, sie kochten, machten Ausflüge und Praktika. Insgesamt elf Kinder begleiteten ihre Eltern auf dem Weg ins ferne Deutschland, auf dem Weg, Waldorflehrerinnen und -lehrer zu werden. »Es gab Freunde, die haben gesagt, wir sind verrückt. Andere schätzten uns glücklich«, lacht Serene Fong aus China. Sie kam mit ihrem Mann und zwei schulpflichtigen Kindern von Singapur nach Stuttgart. »Developing a Waldorf Curriculum in Asia« lautet der Titel ihrer Masterarbeit. »Ich habe schnell gemerkt, dass es als Waldorflehrerin mehr braucht als das Beherrschen von Techniken und das theoretische Wissen über Pädagogik. Ich habe hier sehr viel über mich selber gelernt. Und erst in dieser internationalen Gemeinschaft bin ich mir meiner eigenen kulturellen Wurzeln wirklich bewusst geworden«, erzählt die Lehrerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Ho Pan Liang, der ebenfalls das Stuttgarter Studium durchlief, wird sie zum kommenden Schuljahr an eine Waldorfschule in London gehen – und vielleicht später einmal auch wieder zurück nach China.
»Jeder von Euch trägt in seinem Herzen einen Schatz in die Klassenzimmer in aller Welt – den Keim für ein wirkliches Verständnis der Völker untereinander. Möge dieser Keim wachsen und Früchte in Fülle tragen«, sagte Iris Taggert, die Kursleiterin, bei der feierlichen Überreichung der Masterurkunden. Bereits im Februar hat sie ihre neuen Schützlinge zum dritten Durchgang begrüßt.
Zur Autorin: Petra Plützer ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit an der Freien Hochschule Stuttgart.