Im Englischen spricht man von school governance, was zwei grundsätzliche Funktionsbereiche umfasst: Leadership (Führung/Leitung) und Management (Umsetzung). Nach dem Ansatz der school governance liegt die Kernaufgabe von Schulführung darin, die pädagogische Vision und die Richtung der Schulentwicklung zu formulieren. Sie trägt vor allem die Verantwortung dafür, die pädagogische Qualität, etwa durch Praxis- und Lehrplanforschung sowie Fortbildungen, zu denen auch die Lehrer:innenkonferenzen als «fortlaufende lebendige Hochschule» gehören, weiterzuentwickeln. Da für diese Aufgaben der pädagogische Bezug wichtig ist, sind diejenigen, die in der Schulleitung arbeiten, oft selbst pädagogisch tätig. Nach außen ist die Schulführung externen Behörden und der Elternschaft gegenüber rechenschaftspflichtig.
Sind die pädagogischen Ziele nach entsprechenden Beratungen durch die Schulleitung formuliert, müssen die Maßnahmen durch pädagogisches Management umgesetzt werden. Führung und Management sind also zwei unterschiedliche, aber notwendige Funktionen, die in einem klaren Verhältnis zueinanderstehen, auch wenn sie von derselben Person oder Gruppe ausgeübt werden können. Damit ist noch keine Organisationsstruktur beschrieben. Sobald die Funktionen klar sind, muss eine Form der Praxis gefunden werden, die ihnen entspricht, denn Form ermöglicht Funktion im Kontext.
Lassen Sie uns kurz die grundlegenden Prinzipien der Schulführung an einer Waldorfschule skizzieren. Dabei muss betont werden, dass wir nicht über bestimmte Menschen, sondern über Aufgaben sprechen. Waldorfschulen müssen ihre pädagogische Praxis an die sozialen und politischen Bedingungen anpassen, in die sie eingebettet sind und sie mit Blick auf die altersbedingten Entwicklungsaufgaben der Schüler:innen gestalten. Die pädagogische Praxis basiert auf generativen Prinzipien, die aus der anthroposophischen Menschenkunde abgeleitet sind. Das erfordert eine ständige kollegiale Überprüfung und Weiterentwicklung der aktuellen Pädagogik, die nur von den Lehrkräften geleistet werden kann, indem sie durch kontinuierliche kollegiale Arbeit ein einheitliches Ziel und eine einheitliche Vision erarbeiten.
Welche Rolle spielen Führung und Management in diesem Prozess?
Führung ist notwendig, um die Qualität des Lernens zu sichern und weiterzuentwickeln und für eine gesunde Entwicklung der Schüler:innen zu sorgen. Einzelne Lehrkräfte sind oft zu nah an ihrer Praxis, um die eigene Arbeit objektiv einschätzen zu können. Deshalb sind Strukturen erforderlich, die die Objektivität bei der Beurteilung der pädagogischen Qualität erhöhen.
Zudem muss die Führung ein offenes Ohr für die Anliegen der Lehrkräfte, Schüler:innen und Eltern haben. Sobald Konzepte für strategische Verbesserungen formuliert sind, muss das Management sie innerhalb des bei der Entwicklung abgesteckten Rahmens umsetzen. Wenn die Schule etwa ein bestimmtes Konzept zum Schutz der Schüler:innen (und der Lehrkräfte) verfolgt, braucht sie pädagogische Kräfte mit den geeigneten Fähigkeiten, um ein solches Konzept umzusetzen. Wird ein eigenes Medienkonzept formuliert, müssen Lehrkräfte entsprechend weitergebildet werden, es braucht Menschen, die für die Umsetzung sorgen und sich zu diesem Thema in der Elternarbeit engagieren. Darüber hinaus gibt es auch Managementaufgaben finanzieller und administrativer Art, die nicht von Lehrkräften ausgeführt werden müssen.
Kollegiale Modelle der Schulführung zeichnen sich durch demokratische Prozesse und Partizipation aus, was auf eine dezentralisierte Struktur hindeutet. Es gibt dazu klare Anforderungen an Beratung, Berichterstattung, Begründung von Entscheidungen und anschließende Rechenschaft, aus denen sich das notwendige Vertrauen in die Führungsprozesse entwickeln kann. Gleichzeitig ist es notwendig, dass sich alle an die so getroffenen Entscheidungen halten. In Modellen mit verteilter Schulführung übernehmen Einzelpersonen oder kleine Gruppen die Führungsverantwortung für bestimmte pädagogische Bereiche. Wichtig bei dezentralen Führungsmodellen ist eine übergeordnete Vision und Strategie.
Professor Philip Woods, der zwischen 2002 und 2005 school governance an britischen Waldorfschulen untersuchte, sieht eine enge Verbindung zwischen Demokratie und Spiritualität, denn die Quelle des Potenzials eines jeden Menschen ist sein individueller geistiger Kern – das gilt für Lehrer:innen, Schüler:innen und alle anderen Mitarbeiter:innen. Eine Kernaufgabe von Schulführung besteht deshalb darin, einen Rahmen hierfür zu schaffen. Von daher ist eine zentrale Frage der Schulführung: «Wie können wir Dir (Kolleg:in) helfen, dein Potenzial auszuschöpfen und eine bessere Lehrkraft zu werden»?
Der demokratische Aspekt der school governance besteht darin, dass jede Stimme gehört werden muss und das Ganze davon abhängt, dass jede/r Einzelne das eigene Potenzial entwickeln kann. In Steiners Aufforderung, «eine wahre Lehrerrepublik» zu bilden, besteht der republikanische Aspekt darin, dass die Einzelnen in der Lage sind, Verantwortung für die res publica zu übernehmen und im Sinne des Gemeinwohls zu handeln.
In der Februar-Folge des Podcasts Gegenwart hören, Zukunft gestalten sind vielfältige Stimmen zu diesem Thema zu hören.
Kommentare
Hallo und danke, dass das Thema Schulführung aufgegriffen wird.
Ich vermisse im Beitrag jedoch die aktuellen Diskussionen rund um "New Work" oder noch konkreter neuer Formen der Zusammenarbeit. Gerade unter dem Konzept der "kollegialen Führung", der Soziokratie etc. zeigen sich enorm viele Ideen und Ansätze, die aus meiner Perspektive wunderbar in Waldorfschulen Anwendung finden können und sollten.
Liebe Grüße
Hendrik Epe
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