Dagegen klagt Hamburg vor dem Bundesverfassungsgericht, wobei hinter der Klage, die sich juristisch gegen Übergriffe des Bundes auf die Länder zur Wehr setzt, eine ganz andere Diskussion steht. Es geht um die »Überwindung eines veralteten Familienbildes«, das Frauen durch »falsche Anreize« vom Arbeitsplatz fernhalten und dafür jährlich 900 Millionen Euro »verschleudern« will, statt sie in die Ausbildung von Erzieherinnen und in Krippenplätze zu investieren. 95 Prozent aller Bezieherinnen des Betreuungsgeldes sind Mütter, und obwohl ein Viertel der Väter Elternzeit in Anspruch nimmt, ist damit klar, dass die Erziehung der Kleinsten überwiegend in den Händen ihrer Mütter liegt.
Das Problematische an dieser Debatte ist, dass sie stellvertretend für ein ganzes Bündel sozialer Fragen geführt und damit ideologisch so überladen wird, dass darüber der Blick auf die Kinder verloren zu gehen droht. Die in Jahrzehnten erkämpfte Gleichberechtigung der Frauen in Beruf und Leben, die Rolle der Frauen in den Herkunftsländern insbesondere muslimischer Einwanderer, die schwierige Integration vieler Migranten, von der vor allem die Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen betroffen sind, gehören ebenso dazu, wie der Zwang für Alleinerziehende, ihre Kinder aus beruflichen Gründen betreuen zu lassen oder die gestiegenen Erwartungen an einen Lebensstandard, der nur durch ein doppeltes Einkommen zu erreichen ist. Nicht zuletzt wachsen auch zu viele Kinder aus deutschen Familien unter Bedingungen auf, die von Gewalt, Sucht, Konsum und sprachlicher Verarmung geprägt und alles andere als kinderfreundlich sind.
Das alles spricht für mehr Betreuungsplätze, gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher sowie eine frühe Sprachförderung. Aber es bleibt trotzdem nur ein Teil Wahrheit. Der andere Teil ist, dass die Kinder Liebe, Zuwendung, Rhythmus und einen sicheren Ort brauchen, um sich vertrauensvoll und kraftvoll auf der Erde zu beheimaten. Eine liebevoll geführte Krippe kann ihnen viel davon bieten, aber es bleibt eine Belastung, wenn die Bezugspersonen schon bei sehr kleinen Kindern mehrmals täglich wechseln. Wer Müttern, die ihr Kind zu Hause behalten wollen und können, ein »veraltetes Familienbild« unterstellt und beim Betreuungsgeld gar von einer »Fernhalteprämie« spricht, ist nicht nur den Kindern, sondern auch ihren Müttern gegenüber zynisch. Wer wird denn von wem ferngehalten? Was, wenn es gar nicht ums Fernhalten, sondern um Nähe und Geborgenheit geht?
Vielleicht ist das Betreuungsgeld ein unzureichendes Instrument; die Ideologie, nur Profis könnten schon die Kleinsten erziehen, ist ganz bestimmt unzureichend.
PS: Mehr als drei Viertel aller Jugendlichen sind nach einer Shell-Jugendstudie davon überzeugt, dass eine intakte Familie die wichtigste Voraussetzung für ein glückliches Leben ist, über 90 Prozent sind mit ihren Eltern zufrieden.
Henning Kullak-Ublick, von 1984 – 2010 Klassenlehrer an der FWS Flensburg; Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen, den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners und der Internationalen Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung – Haager Kreis