Edgar Hernegger hat sich im Zuge seiner Abschlussarbeit am Waldorflehrerseminar in Bozen die Aufgabe gestellt, das Thema »Glück« als Epoche auszuarbeiten und anzubieten. Durch vollzählige Anwesenheit setzen die Schülerinnen und Schüler ein deutliches Zeichen: Das Interesse am Glück ist groß. Den »Glücksstoff« entnehmen sie einer vierzig Seiten starken Mappe mit Texten aus der Philosophie, Geschichte, Biologie, Gesundheitslehre, Wirtschaftskunde und Deutsch (Literatur). Sie bildet den Fahrplan für elf Tage mit je zwei Stunden Epochenunterricht. Neu ist der umfassende Ansatz und das Thema. Die Vorgehensweise ist phänomenologisch: Erst werden konkrete Erfahrungsfelder geschaffen, dann sollen die Schüler ihre eigenen Schlüsse ziehen.
Selbsterfahrung steht am Anfang: Ein Brief an das Glück wird geschrieben, mit drei Wünschen an das Leben. Dann wird in der Runde diskutiert: Was bedeutet Glück für mich? Schildere ein selbst erlebtes Beispiel für Glück. Was ist der Unterschied zwischen Glück haben und glücklich sein? Dann folgt der Blick zurück und in die Gegenwart: Wie haben die antiken Philosophen Glück definiert? Der Begriff »Happiness« ist sogar in der amerikanischen Verfassung festgeschrieben. Wie ist der Stand der Wissenschaft im 21. Jahrhundert? Was genau meint Hedonismus und was zeigen im Gegensatz dazu die Forschungsansätze der Psychologie?
Am zweiten Tag geht es weiter: Macht Geld glücklich? Oder ist es mehr die Ungleichheit – gleich auf welcher Ebene –, die Neid und damit verbundene negative Gefühle bis hin zu verbrecherischen Handlungen weckt? Gibt es den »Hans im Glück« wirklich? Wie steht es mit dem sogenannten Easterlin-Paradox, das behauptet, mehr Reichtum führe nicht zu mehr Glück, wenn grundlegende Bedürfnisse erst einmal gestillt seien.
Schließlich werden Glücksmomente hinterfragt. Was passiert mit den Hormonen, wenn ich mich verliebe? Sitzt das Glück im Gehirn? Welche Rolle spielt die Gesundheit?
Was gehört überhaupt zum Glücklichsein? Gibt es Glücks-Strategien, wie viele Ratgeber versprechen? Ist man glücklich, wenn man sich an Schönes erinnert? Haben Freude, Freundschaften und Lachen mit Glück zu tun? Die Schüler arbeiten heraus: Glück hat mit Beziehungen, mit Wahrnehmung, mit der inneren Haltung zu tun: Ist das Glas halb voll oder halb leer? An diesen Wahrnehmungsfähigkeiten arbeitet Edgar Hernegger zusammen mit den Schülern.
Von einer Übung, der »Honigdusche«, konnten die Jugendlichen gar nicht genug bekommen: Es geht darum, negative Eigenschaften umzudeuten.
Einer sitzt in der Mitte und sagt, was ihn an ihm selbst stört – zum Beispiel: »Ich bin chaotisch.« Dann die anderen: »Aber dafür bist Du kreativ und hast tolle Ideen …« Solche »Spielereien« haben ernste Folgen, denn sie unterstützen den Jugendlichen in seiner Persönlichkeitsentwicklung. Die Oberstufenlehrerin Teda Neyer konstatiert mehr Selbstsicherheit, eine bessere Selbstwahrnehmung, aber auch mehr Umsicht bei den Schülern nach der Epoche.
Sex und Schönheitsideale – immer diese Bilder im Kopf!
Ab dem 7. Tag wird es noch persönlicher. Lebensplanung, Freundschaft und Familie, aber auch Schönheitsideale, Partnerschaftslügen und Sex bis hin zum Thema Alter und Sterben werden bearbeitet: Die Glücksepoche bietet Raum, alles anzusprechen, was im Lehrplan zu kurz kommt und doch zentral ist im Leben.
Hier füllen Fachartikel die Mappe, die auf den enormen Erwartungsdruck hinweisen, unter dem junge Menschen heute stehen. Sie lernen, vorgegaukelte Wirklichkeiten von eigenen Bedürfnissen zu unterscheiden. Das Thema hat viele weiter beschäftigt und wurde Inhalt einiger Zwölftklassarbeiten.
Nachhaltigen Unterricht zu machen – das war auch der Anspruch von Edgar Hernegger: »Es muss jeder sein Leben selbst gestalten. Aber nun wissen die Jugendlichen: Es gibt Faktoren für Glück und Zufriedenheit, die haben lebenslange Wirkung.« In Österreich experimentieren Pädagogen schon in der Volksschule mit dem Glück und fordern die Kinder zu Glückstagebüchern auf. Für Edgar Hernegger ist das zu früh: »Mit Siebzehnjährigen ist es ideal, denn die sind an diesen Fragen dran.«
Zur Autorin: Barbara Chaloupek ist freie Journalistin in Wien und beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Anthroposophie und Waldorfpädagogik.