»Hochachtungsvoll und ergebenst …«. Wie Zwölftklässler lernen, sich höflich zu entschuldigen

Wolfram Münzner

In einer Deutsch-Epoche einer zwölften Klasse (Abitur­vorbereitung) haben wir uns in Kleists schwierige Erzählung eingelesen, sie besprochen und einige Übungen dazu gemacht. Um den Einstieg zu erleichtern, stellte ich die Hausaufgabe, eine Entschuldigung im Stile Kleists zu schreiben, mit der Erschwernis, dies möglichst in nur einem Satz und mit weitschweifiger Umschreibung des Grundes, warum man gefehlt hat, zu tun. Und um den Ehrgeiz zu wecken, wurde als Belohnung für die beste Entschuldigung ein Preis ausgelobt. Das Interesse schien geweckt, denn bereits am nächsten Tag kamen beachtliche Texte.

Bis zum Ende der Epoche konnten diese überarbeitet und dann einer Jury übergeben werden. Es kamen so viele inhaltlich wie stilistisch gelungene »Entschuldigungen« heraus, dass aus einem Preis schließlich zwei erste, zwei zweite und ein dritter Preis in zwei Kategorien wurden, um den Leistungen halbwegs gerecht zu werden. Der Inhalt der Hausaufgabe wurde schließlich auch der Preis selbst: erster Preis: Entschuldigung für einen Fehltag (nach Absprache), zweiter Preis: Entschuldigung für einen Hauptunterricht, dritter Preis: Entschuldigung für eine Fachstunde.

Damit die Leser die Aufgabe ermessen können, zunächst eine Passage aus dem Original: der Anfang der Erzählung.

»An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Rosshändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.

Dieser außerordentliche Mann würde, bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.

Er ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohlgenährt alle und glänzend, ins Ausland, und überschlug eben, wie er den Gewinst, den er auf den Märkten damit zu machen hoffte, anlegen wolle: teils, nach Art guter Wirte, auf neuen Gewinst, teils aber auch auf den Genuss der Gegenwart: als er an die Elbe kam, und bei einer stattlichen Ritterburg, auf sächsischem Gebiete, einen Schlagbaum traf, den er sonst auf diesem Wege nicht gefunden hatte …« (Heinrich v. Kleist, Michael Kohlhaas. Aus einer alten Chronik, erschienen 1810)

Und nun viel Spaß mit zwei preisgekrönten Entschuldigungen, aber bitte nicht den Faden verlieren! Auch die Kommasetzung ist der Kleistschen angepasst.


An den Lehrer der Klasse 12A, Herrn Münzner

In Anbetracht der Umstände, höchst unüblich und wirr, die sich im Jänner dieses Jahres, es war am zweiten Tage des Monats, auf solch erstaunliche und vollkommen überraschende, mich in Verlegenheit bringende Weise zutrugen, obschon mir meines Erachtens nicht die ganze Schuld zuzuweisen ist, da sich der Fehler auf ein Versagen eher unnatürlicher Natur zurückführen lässt, konnte ich, trotz mehrerer Bemühungen ausführlicher Art, die Voraussetzungen eines vorbildlichen Schulbesuchs, der in jedem Falle die wichtige Aufgabe inne hat, auf den späteren Beruf vorzubereiten, sei es nun für das Amt des Oberlehrers, streng und unnachgiebig, oder das des Jägermeisters, mit ruhiger Hand und genauem Auge, in der Form der morgendlichen Pünktlichkeit, deren allgemeine Gültigkeit bekannt ist, nicht erfüllen, und als der Pflicht sehr verbundene Schülerin möchte ich Euch mit diesem Schreiben, um des Rechttun willens und wegen meines schändlichen Vergehens, dessen ich mir durchaus bewusst bin, unübersehbar und in dem Maße zu verfolgen, in dem es Euch gerecht zu sein dünkt: gnädigst um Verzeihung bitten, doch zu meiner Verteidigung hinzufügen, dass ich an besagtem Morgen, in winterlicher Kälte, eben aus dem Hause lief, um den Bus zu erreichen, als ich, ohne es irgend zu ahnen, auf einer glatten, unter dem Schnee liegenden Eisfläche derart aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, dass ich, auf dem Gesäße rutschend, einen Hang hinab glitt und folglich für dessen erneute Besteigung einige Zeit in Anspruch nehmen musste, dergestalt dass ich, obgleich auf das Äußerste laufend, nicht mehr die Möglichkeit besaß, den Bus zu erreichen, und lediglich sein durchdringendes Hupen, laut und grell, einem vorüber fahrenden, sehr unhöflichen Autofahrer gewidmet, wahrnahm, während ich, flimmernde Dunkelheit vor Augen und mit schwindenden Sinnen, ob der schrecklichen Folgen meines Fehltretens, zur Seite griff, um mich an einem Pfahl zu stützen, doch mit suchender Hand etwas anderes, unangenehme Laute Hervorbringendes, fand: welches sich als mein Wecker herausstellte, der zu meiner großen Bestürzung bereits die Mittagsstunde anzeigte.

Mit hochachtungsvollen und freundlichen Grüßen,

Sarah Münzner


Sehr geehrte Lehrkraft,

in Anbetracht meines Fehlens am Dienstag, den zweiten Februar 2010, und somit des Versäumens wichtiger, allgemein bildender Unterrichtseinheiten, die ja auch ohne meine Anwesenheit stattfanden und somit ein großes Loch in meiner Schulbildung hinterlassen haben und werden, möchte ich mich hiermit, auf das Äußerste und Demütigste, bei Ihnen, sehr verehrter Herr Münzner, für mein Fehlen, aufgrund eines Mordes, welcher sich an eben besagtem Dienstag vor meinem Esszimmerfenster, unter schrecklichsten Umständen, ereignete, wovon ich, A. K., Tochter von O. und J. K., Zeugin wurde und darauf, meinen inneren ängstlichen Schweinehund überwindend, mutig eingreifend, doch leider nur noch den Tod feststellend, reagierte, im Namen meiner ganzen Familie entschuldigen: weil es des weiteren, durch dumme und ungeschickte Begebenheiten, wie beispielsweise das Verfehlen des Nagels mit dem Hammer beim Kreuzbau, auch zu schweren Verletzungen meinerseits kam, wodurch ich das Beerdigen des Mordopfers aufgeben und zu einem Chirurgen fahren musste, der sich, in Anbetracht meines, inzwischen schon blau angelaufenen Fingers, nur noch für einen beige-braunen Verband und meine Schulunfähigkeit entscheiden konnte, sodass ich leider, bis zum jetzigen Zeitpunkt, die Beerdigung nicht zu Ende ausführen konnte, was mir für das, durch meine Katze Grissella ermordete Rotkehlchen, außerordentlich Leid tut. 

Hochachtungsvoll und ergebenst,
Ihre Schülerin

A. K.