Das könnte fast für alles gelten, was man noch nicht kann, aber ich meine jetzt insbesondere das Erlernen einer neuen Sprache. In meinem Fall Italienisch. Ich käme sofort ins Stocken, wenn ich erst nach der richtigen grammatikalischen Form suchen würde, vielmehr komme ich in Fahrt, wenn mein könnendes Gegenüber mir sprachliche Brücken baut und ein Nächstes sich anschließt. So wird es durch wiederholendes Üben immer richtiger.
Ich denke manchmal, um wie viel leichter es sogar den Erwachsenen fallen würde, eine Sprache zu erlernen, wenn sie wie die Kinder in der Unterstufe einer Waldorfschule singend, rezitierend, stampfend und hüpfend in eine Sprache eintauchen würden. Dann würden Eltern vielleicht auch besser verstehen, dass es nach vier, fünf Schuljahren Fremdsprachenunterricht nicht drauf ankommt, richtig sprechen, lesen und schreiben zu können. Doch was in den unteren Klassen noch als spielerisches Lernen daherkommen mag, hat seinen tieferen didaktischen Grund und ließe sich durchaus auf höherem Niveau in der Mittel- und Oberstufe fortsetzen und steigern: Eigentlich gehörte ein jährliches Klassenspiel in allen Fremdsprachen auf den (Spiel-) Plan, ich vermute, ungeahnte Sprachpotenziale und -talente würden sich entfalten. Neudeutsch nennt man das »embodied learning« – eine viel zu wenig gepflegte Ressource.
Eine weitere Steigerung ist, dass man tatsächlich auch tut, was man spricht, also im Kontext einer konkreten Tätigkeit oder Arbeit spricht. Nirgends lerne ich so schnell hinzu, als wenn ich mit italienischen lavoratori auf einer Baustelle zusammenarbeite, mit dem Schreiner einen armadio wieder herrichte, mit der Verkäuferin auf dem Wochenmarkt die härteste salame aussuche, den Verkehrspolizisten nach der nächsten ferramenta frage oder miele beim Bauern hole, wir auf das Thema Bienen kommen und er mir seine Beuten zeigt. Das alles kann man auch mit Schülern vor Ort unternehmen: Gartenbauunterricht auf Französisch, Schmieden auf Englisch, Spanische Woche in der Schulküche ...
Oder Auslandsaufenthalte: Es gibt zahlreiche Waldorfschulen (auch im näheren) Ausland, mit denen man systematisch ein Austauschnetz aufbauen könnte, das ohne große (teure) Formalitäten, Familienanschluss inklusive, funktioniert. Das gleiche gilt für Auslandspraktika in pädagogischen, heilpädagogischen oder landwirtschaftlichen Einrichtungen. Also eine Fremdsprache sprechen in Realsituationen – auch dies eine ausbaubare Ressource, die nicht nur dem Spracherwerb, sondern auch der Lebens- und Selbsterfahrung dienen würde.
Aber zurück zum Hören: Wir verstehen uns nicht immer, selbst wenn wir die gleiche Sprache sprechen. Das heißt, allem Sprachverstehen – das gilt für jede Sprache – geht ein Zuhören voraus. Sie kennen vielleicht folgendes Phänomen: Sie haben zwar nicht genau verstanden, was ihr Gegenüber Wort für Wort gesagt hat, haben das Gemeinte aber doch intuitiv erfasst. Das offene Ohr ist das Tor zur Welt und die mit-schwingende Hälfte jedes gelingenden Gesprächs in jeder Sprache.