Es ist Januar, als sich die Aulatür öffnet und die erste Klasse zum Dreikönigsspiel in den Saal einzieht. Die Eltern erblicken freudig die 28 Kinder. Seit dem Schulanfang im Herbst sind sie zu einer Gemeinschaft herangewachsen, haben Bühnenrollen, Kostüme, Lieder und Texte im Gepäck. Zum Einzug singen sie ein Lied, dann ist Stille. Jetzt eröffnet ein Mädchen, sich drehend und mit zartem Glockenspiel, die Geschichte. Jedes Kind ergreift seinen Part unterschiedlich: leise, innig, artikuliert, ausdrucksstark, chorisch und solistisch, manchmal ungeduldig wartend oder kichernd vor Glück, weil es seine Eltern entdeckt. Getaucht sind Spiel und Klasse in Klangbewegungen, die rund zwölf Kinder erwecken: schwebende Zimbeln bringen den Raum zum Leuchten, Klangstäbe und -hölzer künden hell Engel an oder lassen uns die Weite der Landschaft fühlen. Es entstehen feine intensive Hörmomente. Und Hörpausen gibt es auch: ein Nachlauschen, bis die Zimbeln wirklich verklungen sind und Stille den Raum zurückerobert. Erst jetzt treten die Könige an den Bühnenrand ...
In meiner ersten Klasse arbeite ich seit Schulbeginn mit Hörbewegungs- und Klangübungen. Inspiriert dazu wurde ich zuletzt vom Intensivseminar »Audiopädie und Inklusion« am Campus-Mitte-Ost in Leipzig. Wie wohltuend es ist, audiopädisch mit Kindern zu arbeiten, habe ich in meiner Klasse spüren können. In der Audiopädie verbinden wir uns miteinander durchs Hörbewegen – innerlich wie äußerlich. Wir sind in Schwingung und erkunden den Moment. Das Erlebnis- und Lernfeld der Audiopädie, scheint mir immens. Trainiert wird das »Sich-Einhören« (Knierim in Beilharz 2019). Geschult werden dabei: Achtsamkeit und Konzentration, Körperempfindung, Gruppenwahrnehmung und Geduld, aber auch sich beteiligen, kreativ bewegen und den richtigen Moment ergreifen. So erleben sich die Kinder und sind im Miteinander. In Klangspielen sind sie mit Leib und Seele in Entdeckerlaune. Eine kleine Übung war über viele Wochen ein stetiges Unterrichtselement: Ein Kind spielt die Pentangel im Klassenzimmer, die anderen Kinder schließen die Augen und hören sich ein. Wann genau ist nun der Ton vorüber? 26, 30, 37 Sekunden lang nur Atem im Raum. Wer nichts mehr hörte, ließ seine Arme in Richtung Decke schweben – wie lange Kinder lauschen können! Eine schöne Übung: Acht Kinder stellen sich zu einem Viereck auf, immer zwei stehen hintereinander. Das vordere Kind mit Zimbeln oder Klangstab, das hintere mit einem Seidentuch. Ein gemeinsames Lied stimmt alle ein. Danach lässt eines der Kinder seine Zimbel erklingen und das hinter ihm stehende Kind mit dem Seidentuch macht sich auf den Weg zum nächsten Paar. Es hört sich ein und bewegt sich individuell bis der Klang der Zimbel verklungen ist. In einem möglichst fließenden Übergang nimmt das nächste Paar diese Bewegungen auf. Dort werden urmusikalische Erlebnisse durch eigene Bewegungen erlebbar, wie etwa Melodiebogen, Anfang und Ende, Stille, langsam und schnell. Das verstehen wir unter Hörwegen.
Literatur:
Gerhard Beilharz: Julius Knierim. Quellort muss immer die Kunst bleiben, Bd. 2, »Lebenselement Musik. Aus der Arbeit der Freien Musik Schule. Kunst – Pädagogik – Therapie«, Weilheim/Teck 2019.
Reinhild Brass: Hörwege entdecken. Musikunterricht als Audiopädie, edition zwischentöne, Weilheim/Teck 2020.
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