Helmy Abouleish sieht sich nicht als zweite SEKEM-Generation, sondern war mit seiner Familie von Anfang an beim Aufbau SEKEMs dabei. Als die ersten Häuser gebaut, Brunnen gebohrt und Felder angelegt wurden, die erste Rinderherde per Schiff aus Deutschland ankam. Geboren wurde er noch in Graz, wo sein Vater Chemie studiert hatte.
Seine Kindheit verbrachte er auf einem kleinen Hofgut des Großvaters. Es folgte ein Umzug nach St. Johann in Tirol, wo er seinen Leidenschaften Klavier und Fußballspielen frönte – und in dieser Zeit als Gymnasiast zum ersten Mal Die Philosophie der Freiheit von Rudolf Steiner las. Inspiriert durch einen Besuch in Ägypten und ermuntert durch die befreundete Anthroposophin Martha Werth, entschloss sich die Familie, zurück nach Ägypten zu gehen, um dort eine ganzheitliche Entwicklungsinitiative zu gründen.
Ihr Hab und Gut in drei VW-Bussen verstaut, siedelte die Familie 1977 nach Heliopolis um und vom ersten Tag an packte der damals Sechszehnjährige mit an, die SEKEM-Farm mitten in der Wüste aufzubauen. Nebenbei eroberte er sich das Land durch ausgedehnte Motorradreisen, wenn er nicht die Schulbank auf der Deutschen Schule in Kairo drücken musste. Dann ging alles ganz schnell. Im fliegenden Wechsel ging es 1985 vom Traktor ins Business Management. Ein krankheitsbedingter Ausfall seines Vaters machte den »Switch« nötig. »Ich als Geschäftsmann und Händler unserer Produkte, er als visionärer Unternehmer. Das ergänzte sich hervorragend«, meint Helmy rückblickend. Und so ging es ab 1989 mit SEKEM wirtschaftlich steil bergauf. »Mit Eosta und Lebensbaum wurden erste Handelpartner für unser Gemüse und unsere Tees gefunden. Auch der lokale Markt wurde beliefert«, erinnert er sich. In diese Zeit fällt auch der Erfolg SEKEMs beim Landwirtschaftsministerium, dass landesweit keine Pestizide mehr aus der Luft auf die Felder gesprüht werden. »Unsere Mission war es damals, in Ägypten die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise zu etablieren«, und dieses Ziel hat SEKEM erreicht: Inzwischen arbeiten 140 zertifizierte Demeter-Höfe in Ägypten, an die rund neunhundert Kleinbauern angeschlossen sind, die auch Baumwolle anbauen. Gemeinsam mit Alnatura (Deutschland) und Under the Nile (USA) konnten die Textilien erfolgreich exportiert werden. Auf SEKEM selbst sind nahezu 2.000 Mitarbeiter in Lohn und Brot. Mit der Prosperität nahmen die Kontakte SEKEMs zu. Helmy Abouleish saß bald in über vierzig nationalen und internationalen »Councils«, jettete durch die Welt und schüttelte Präsident Obama und Prinz Charles die Hand. »Ich fühlte mich wie Napoleon«, reflektiert der dynamische Dreiundfünfzigjährige. »Ich dachte, ohne mich wird die Welt stillstehen.« Die Verleihung des Alternativen Nobelpreises 2003 an seinen Vater ließ SEKEM in dauerndem Rampenlicht stehen. »Es war wie eine Explosion«, sagt Helmy. Seine Familie sah er kaum. Dann kam der sogenannte arabische Frühling, den sein Vater Ibrahim auf dem diesjährigen SEKEM-Tag in der Stuttgarter Liederhalle als vierjährigen Vulkanausbruch beschrieb, eine Katastrophe, unter der SEKEM sehr gelitten habe. »Diese Revolution hat keiner vorausgesehen, so wie den Fall der Mauer«, sagt Helmy. Es gab Energieengpässe, Transporte wurden blockiert und der lokale Verkauf brach um 40 Prozent ein.
Vor dem inneren Gericht
Helmy beschreibt die Beziehung zu seinem Vater, als wäre er dessen jüngerer Bruder. Zwar wird er dessen Charisma, natürliche Autorität und spirituelle Ausstrahlung, die SEKEM bis heute zusammenhalten, kaum ersetzen, aber vielleicht in einer neuen Form in die Zukunft tragen können.
Es ist wie ein Wink des Schicksals: Helmy ist 49 Jahre alt, als ihn der Haftbefehl trifft. Er sitzt mit 56 ehemaligen Ministern, Fernsehleuten, Politikern und Unternehmern in U-Haft im Kairoer Torah-Gefängnis; er hat einen strengen Tagesablauf, führt Tagebuch, kommt zur Besinnung, geht mit sich schonungslos ins Gericht, stellt sich Lebensfragen, hat viele Gespräche mit inhaftierten Freunden über Glaubensfragen und beginnt als Muslim regelmäßig zu beten. Es scheint ein absurdes Ergebnis der erzwungenen Auszeit im Gefängnis: Seine vier Töchter genießen es, endlich ihren Vater sehen, mit ihm zusammen sein und zwei, drei Stunden sprechen zu können. In Freiheit hatte er kaum Zeit zum Lesen, für den täglichen Morgenkreis, für die Pflege seines sozialen Umkreises. Er sieht ein, dass schöne Sonntagsreden, Absichtserklärungen oder Politiker die Welt nicht ändern werden, sondern nur das zivilgesellschaftliche Engagement der betroffenen Menschen. »Ich sagte mir, dass es gut ist, dass ich hier bin«, erinnert sich Helmy. Er liest im Koran, beschäftigt sich mit der spirituellen Seite des Islam, dem Sufismus, und besinnt sich auf sein Bedürfnis nach Vertiefung, Ruhe und religiöser Kontemplation. Er setzt sich neue Ziele und erkennt, dass er seine Zukunft und diejenige SEKEMs nur aus seinem Inneren heraus wird gestalten können. »Mit dieser Wende begann für mich eine neue Zeitrechnung«, sagt Helmy, »denn wirklich effizient wird man nur durch geistige Arbeit.«
Nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis schränkt er seinen internationalen Aktivismus ein, konzentriert sich auf die Bedürfnisse SEKEMs und der Landwirtschaft des Landes, besonders auf die Förderung der dritten Generation vor Ort durch Kindergarten, Schule, Berufsausbildung und Universität. Er richtet einen Familienrat ein, in dem Ideen entwickelt werden, um aus der Zukunft heraus handeln zu können. »Dafür müssen wir gemeinsam unsere spirituellen Fähigkeiten entwickeln«, sagt er.
Helmy Abouleish ist auf dem Weg zu sich selbst, um die Zukunft SEKEMs zu gestalten.