Ausgabe 04/24

Innovation made by Waldorf

Daniela von Pfuhlstein
Daniela von Pfuhlstein

In den letzten Jahren hat Can Beck eine Vertretungsplanorganisation (VPO) entwickelt. VPO ist eine Software, die die Vertretungsplanung für Schulen übernimmt. Das Produkt ist eine Innovation, die inzwischen bundesweit an Waldorfschulen im Einsatz ist. Auch staatliche Schulen, Politiker:innen und Softwareanbieter sind mittlerweile daran interessiert.

Vom Schüler zum Lehrer
 

Beck war Waldorfschüler in Berlin, Rendsburg und Kiel. Obwohl Mathematik nicht immer seine große Leidenschaft war, belegte er den Leistungskurs Mathematik bei Helmut Laufenberg, einem Mitbegründer der Kieler Waldorfschule. Diesem Lehrer gelang es, Becks Begeisterung für Mathematik zu wecken. So sehr, dass er nach dem Abitur in Freiburg Mathematik studierte und im Nebenfach Kognitionswissenschaft, das vor rund 20 Jahren die Vorläufer der heutigen künstlichen Intelligenz zum Inhalt hatte.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Beck keine besondere Beziehung zu Computern – nun entdeckte er seine große Leidenschaft. Er arbeitete im Rechenzentrum der Uni und schrieb in seiner Freizeit diverse Programme, um die typischen Probleme seines Studentenalltags zu lösen – zum Beispiel eine digitale WG-Kasse oder eine digitale Filmbibliothek.

Nach dem Studium forschte er am Fraunhofer-Institut in Karlsruhe im Rahmen von EU-Projekten zu Lernsystemen. Waldorf und der Lehrerberuf waren zu dieser Zeit für ihn kein Thema. Mit der Geburt des ersten Kindes kam die Berührung wieder. Nach der Geburt des zweiten Kindes nahmen er und seine Frau Elternzeit, um als Familie Work & Travel zu machen. Während dieser Reise durch Europa lernten sie ganz neue Lebensentwürfe kennen. Beck entschied sich, Waldorflehrer zu werden. Er unterrichtete an der Freien Waldorfschule Offenburg und absolvierte berufsbegleitend das Studium am Lehrer:innenseminar in Kassel. Schnell fiel ihm auf, dass die Planung der Vertretungsstunden beim Ausfall von Lehrkräften häufig Probleme verursachte. Aus familiären Gründen zog die Familie nach Tübingen, wo Beck wieder an der Waldorfschule unterrichtete. Diese Schule hatte Vertretungspatenschaften eingerichtet, ein System, das auch nicht gut funktionierte. Becks Erfindergeist war geweckt! Er dachte sich: «Wenn ich alle relevanten Informationen hätte, dann könnte die Vertretungsplanung auch automatisiert funktionieren.» Die Schule war offen für die Entwicklung eines digitalen Systems, das die schwierige Aufgabe übernehmen würde.
Wieder zog Familie Beck um, dieses Mal zurück in die alte Heimat nach Kiel. Bevor er die Tübinger Schule verließ, bat diese um weitere Kooperation für die Vertretungsplanung. Nach und nach entstand ein leistungsfähiges Programm, auf das Dr. Valentin Wember, der weltweit Waldorfschulen berät, aufmerksam wurde. So kam es, dass die erste Schule, die im Herbst 2019 die Software einsetzte, die Freie Waldorfschule Wangen war. Seitdem hat sich die Anzahl der Schulen, die die Innovation aus dem Waldorfkosmos nutzen, jährlich mehr als verdoppelt. Ein Wachstum, das ausschließlich auf Mund-zu-Mund-Propaganda beruht. Erst seit dem Sommer 2023 hat VPO eine Webseite.

Vorteile der Software


Im Durchschnitt müssen an einer einzügigen Waldorfschule mit etwa 350 Schüler:innen für 1.500 bis 2.000 Stunden pro Jahr Vertretungen geregelt werden. Die komplexe Vertretungsplanung ist keine einfache und oft unbeliebte Aufgabe. Neben den organisatorischen gibt es auch zwischenmenschliche Herausforderungen: Ein Kollege geht aus Prinzip nicht ans Telefon, wenn die Vertretungsplanerin anruft, ein anderer hebt zwar ab, ist aber grantig, wenn er angefragt wird. Die Erfahrung zeigt, dass die Vertretungsarbeit auf den Schultern verhältnismäßig weniger Lehrkräfte lastet und nur selten transparent und fair gelingt.

Die Software löst das Problem nicht zentral, sondern verteilt die Stunden weitestgehend automatisiert fair auf das Kollegium, gestaltet die Stundenpläne kompakt, indem Randstunden in die Tagesmitte gezogen werden und setzt zudem Lehrkräfte in für sie passende Klassen ein. Schulen, die mit VPO arbeiten, berichten nach dem Einsatz der Software von großer Arbeitserleichterung und davon, dass die Anwendung intuitiv und einfach sei. Die meisten Schulen, die VPO nutzen, haben sowohl im Lehrerzimmer als auch zentral in der Schule einen Monitor angebracht, sodass die Vertretungsplanung immer live zu sehen ist. Eltern sind über ihre elektronischen Geräte, egal ob Computer oder Handy, immer aktuell informiert, wenn zum Beispiel ein Kind früher von der Schule nach Hause kommt.

Becks Fokus liegt inzwischen weniger auf dem Klassenzimmer, sondern mehr auf der stetigen Optimierung seiner Innovation. Rückblickend sagt er, seine «Waldorfprägung, das Studium, die Arbeit in der Forschung und seine Tätigkeit als Lehrer» seien ihm für das Projekt zugutegekommen. Aufgrund des allgemeinen Interesses an VPO und dem daraus resultierenden Wachstum des Unternehmens reduzierte er sein Deputat als Mathematiklehrer. Sein Erfindergeist bleibt aber allen Waldorfschulen erhalten.

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