Erst Flugzeug – Hektik, Tempo, Enge –, dann eine Bahnfahrt durch die malerischen Highlands, anschließend mit der Fähre eine Stunde bis zur Insel Mull. Spätestens an Deck, in die blauen Horizonte eintauchend, merkt man: Es geht um Verlangsamung, Ausatmen. Dann geht es im Bus weiter durch das schönste Glen Schottlands, bis man schließlich an einem kleinen Fischerdorf ankommt, wo eine weitere Fähre nach Iona übersetzt.
Beobachtet man die Menschen beim Betreten der Insel, wenn sie von der Fähre auf die Rampe der Anlegestelle zugehen, ist zu erleben: Es wird still. Als würden die Menschen einen Dom betreten, intuitiv schweigen.
So ging es auch mir bei meinem ersten Iona-Besuch und so geht es mir bis heute, obwohl ich nun in der unmittelbaren Nähe auf Mull lebe und so recht häufig Iona besuchen kann. Von der Insel wird man in eine ganz besondere Stimmung aufgenommen. Diese ist für mich »Urlaub«, Erholung, eine Atmosphäre, in der ich ganz zu mir finden und neue Kräfte schöpfen kann.
Hier herrscht Friede über allem, der einen frei atmen lässt. Dies ist eine Qualität, in der man sich öffnen kann, um inspiriert zu werden. Mir geht es auf Iona so, dass ich dort belastende Themen – alles, was alt ist und erdrückt oder was schon lange einmal angeschaut werden wollte – in einer freien, kameradschaftlichen Art betrachten und so verwandeln oder loslassen kann. Wie ist das zu verstehen? Iona ist nicht nur das, was man sieht, eine Insel, sondern viel mehr. Orte sind Präsenzen, haben ihre eigene Aura, durch die man sich bewegt. Iona besitzt die Qualität, Menschen zu »entpanzern«, man fühlt sich von der Insel liebevoll angeschaut und nicht beurteilt. Wie macht sie das? Vielleicht hat es mit ihrer Geschichte zu tun, die mit St. Bride, der Heiligen Brigitte, verbunden ist, von der erzählt wird, sie sei in der Zeit um Christi Geburt als Kind nach Iona gekommen und habe als junge Frau in einer Vision das Jesuskind an die Brust genommen, um es zu stillen. Oder dem heiligen Columban, dem Druiden aus Irland, der sich dem Christentum zuwandte, und im fünften Jahrhundert mit zwölf Gleichgesinnten hier ein Kloster gründete, das zum Zentrum des irisch-keltischen Christentums wurde, von dem aus Hunderte von Mönchen nach Europa ausschwärmten, um einen zutiefst mit den Geistern der Natur verbundenen, von künstlerischer Schönheit erfüllten Glauben zu verkünden. Seine Bruderschaft war geprägt von Geschwisterlichkeit – zwischen Menschen, den Geschlechtern, aber auch dem Menschen und seinen Mitgeschöpfen. Und der Geist dieses Christentums lässt sich als Stimmung heute noch auf Iona erleben.
Zum Autor: Dr. Renatus Derbidge ist Biologe und war Mitarbeiter an der Naturwissenschaftlichen Sektion am Goetheanum und Lehrer an der Rudolf Steiner-Oberstufenschule »Schule und Beruf« in Basel und lebt heute in Schottland als Landwirt, Autor und Kursleiter.