Standpunkt

KI und das Zoon politikon

Hans Hutzel

Das überfordert Menschen, die gerade mal zwei Handvoll Argumente gleichzeitig verarbeiten können, um eine Entscheidung zu treffen. Vielleicht schreibt die KI auch manche Texte besser und lesbarer als unsereins. Die KI schreibt kompetent, sachlich, manchmal sogar stilistisch elegant. Was die Richtigkeit der Inhalte angeht, wird sich das sicher in der nächsten Zeit auch noch verbessern, wenn sie noch etwas dazugelernt haben wird.

KI kann dem Menschen nicht abnehmen, Entscheidungen zu fällen. Und wirklich entscheiden können wir nur in unentscheidbaren Fällen, gerade wenn diese nicht vorhersehbar oder berechenbar sind. KI und ChatGPT können sich nicht im politischen Raum bewegen, in dem über richtige Weichenstellungen für die Zukunft entschieden werden muss.

Wenn ich auf Datenbasis und Wissen etwas vorhersagen, sprich: vorausberechnen, kann, dann muss ich mein Entscheidungsorgan nicht nutzen. In echten Entscheidungsfällen geht es um Interessen, um Vorlieben und echte Lieben und leidenschaftliches Eintreten für etwas, also auch um Gefühle.

Und hier betreten wir das Feld der Politik! Sich in andere Mitbürger:innen hineinversetzen, ihre Beweggründe erspüren und die eigenen gegebenenfalls dagegensetzen. Streiten im besten Sinne! Das bleibt den Menschen vorbehalten. Meine Interessen einbringen und zugleich das Wohl der Allgemeinheit bedenken. Das ist ein scheinbar unauflösbarer Widerspruch, aber notwendig.

Dabei gilt es auch die menschlichen unlogischen Schlussfolgerungen zu akzeptieren. Solche, über die die KI zurecht den eckigen Kopf schütteln würde. Dieses Menschliche im politischen Prozess: im Dialog mit den Anderen abgleichen, abtasten und bewerten. Leidenschaftlich für oder gegen etwas zu sein und trotzdem nicht zu Waffen greifen. Apropos Waffen und Akzeptanz einer veränderten Wirklichkeit: Das hieß für mich auch, dass ich, bei derart veränderten Bedingungen, Waffenlieferungen an die Ukraine plötzlich befürwortete, auch wenn ich mich entgegen meinen bisherigen Überzeugungen neu verorten musste.

Aristoteles charakterisiert den Menschen als zoon politikon, als ein politisches Wesen, das auf Gesellschaft angewiesen ist und nur in dieser leben kann. Hannah Arendt entwickelte diese Definition in der modernen Industriegesellschaft weiter. Und wir Heutige müssen dies nun in die Ära der KI weiterdenken, mit Gefühl und Leidenschaft. Dann wird das animal rationale, das Technikwesen menschlich.

Wir brauchen also den engagierten Diskurs, der dann nach friedlichem Streiten über Haltungen und Positionen zu echten Entscheidungen führt. Dann kommt Neues in die Welt und wir reproduzieren nicht nur das Alte in neuen Farben. Und gerade wir sollten nicht über Das Politische abfällig die Nase rümpfen. Ganz im Gegenteil: es ist neben der Kontemplation die menschlichste Tätigkeit. Das macht uns die KI vielleicht deutlich, wenn wir sie nicht als Bedrohung abtun. Damit ließe sich unsere Zeitgenoss:innenschaft erhalten.

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