Die ältesten Funde von Brettspielen stammen aus dem 5. Jahrtausend vor Christus. Auf Zypern und Kreta waren Brettspiele im 2. Jahrtausend vor Christus bekannt. Das Mühle-Spiel ist über 2.000 Jahre alt. Besonders oft fanden sich geschnitzte Tiere auf Rädchen zum Nachziehen. Sportspiele sind spätestens seit der griechischen Kultur in Form der Olympischen Spiele bekannt. Glücksspiele mit Würfeln kennt man seit Homers Zeiten. Als Würfel verwendete man Astragale, das sind die Sprungbein-Knöchelchen von Schafen und Ziegen. Glücksspiele um Geld wurden zeitweise amtlich verboten. Der Vorteil von Geschicklichkeitsspielen lernte man schätzen, weil man sie auch alleine spielen kann.
Der Ball war schon immer eines der beliebtesten Spielzeuge. Im »Froschkönig« heißt es: »Wenn sie lange Weile hatte, so nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder; und das war ihr liebstes Spielwerk.« Die gehütete goldene Kugel – das Sinnbild der Weisheit – führte die Königstochter schließlich zu ihrem Prinzgemahl. Heutzutage wird die Kugel vor allem geschlagen und getreten und bildet nicht mehr die Verbindung zu einer anderen Welt.
Die kleine Schwester der Kugel ist die Murmel oder der Schusser. Es gibt sie aus Glas, Ton oder Marmor. Letztere wurden in Berchtesgaden mit einfachen Wassermühlen Jahrhunderte lang hergestellt und landeten in den Hosentaschen der Buben, damit sie stets parat zum Spiel waren.
Auf Pieter Bruegels Bild »Kinderspiele« aus dem 16. Jahrhundert findet man etwa 30 verschiedene Spiele, darunter auch das Würfeln mit Astragalen. Manche davon, wie Fangen und Blinde Kuh, werden heute noch gespielt, Andere wie das Spielen mit dem Reifen und dem Kreisel sieht man heute kaum noch. Ich besaß als Kind beides. Dass der rollende Reifen oder der drehende Kreisel nicht umfällt, faszinierte mich.
Die Nachahmungsspiele gehören zu den beliebtesten Kinderspielen. Wenn das älteste Kind einer Familie in die Schule kommt, spielt es nachmittags den Lehrer, die jüngeren Geschwister sind die Schüler. So wird das Erlebte verarbeitet. Für diese Art des Spielens sind alle Dinge des täglichen Lebens brauchbar: Steine, Hölzer, Kastanien, auch Tannenzapfen. Peter Rosegger schilderte, wie das Käthele Tannenzapfen aus einem von Baumrinde gebauten Stall auf die Weide führte und von jeder »Kuh« den Namen nannte.
Die Spielzeuge wurden früher, meist in der Winterzeit, selbst hergestellt. In einem Spielzeug-Museum entdeckte ich eine geschnitzte Kuhherde aus dem 16. Jahrhundert.
Zu allen Zeiten wurden Puppen selbst gemacht und wenn es nur eine »Fetzenpuppe« war, mit bemaltem Kochlöffel als Grundgerüst. Ich kenne Kinder, deren Spiel es ist, Spiele zu erfinden. Wenn ein Spiel fertig ist, wird es einige Male gespielt und dann macht man sich an das Erfinden eines neuen Spieles. Da gab es ein Spiel mit einer Ritterburg. Man konnte sich Treppen hinauf und hinunter würfeln. Wenn man aber auf ein bestimmtes Feld kam, öffnete sich eine Falltüre und man fiel in das Verlies im Keller.
In meiner Schulzeit hatte sich ein Mitschüler einmal einen Propeller am Fahrrad befestigt. Je schneller er fuhr, desto schneller drehte sich dieser im Fahrtwind. Es dauerte nicht lange, da konnte man sich ohne Propeller am Rad nicht mehr sehen lassen. Selbstgemachtes Spielzeug hat einen hohen persönlichen Wert. Doch was früher selbstverständlich war, geht heute langsam verloren. Der Griff zur Geldbörse ist schneller als der zum Werkzeug.
Die Entstehung von Spielzeug-Manufakturen
Ab dem 15. Jahrhundert entstanden insbesondere dort, wo Bergwerke nicht mehr genug zum Leben hergaben, Spielzeug-Manufakturen – so in Oberammergau, Berchtesgaden, im Grödental in Südtirol und im Erzgebirge. Spielzeuge wurden in Heimarbeit von Hand hergestellt und zum Verkauf zunächst in der näheren Umgebung angeboten. Man lud sie auf Kraxen und ging damit von Ort zu Ort. Serienmäßig angefertigte Puppen wurden »Docken« genannt, es gab die Zunft der Dockenmacher. Die Köpfe waren aus Holz oder Ton von Hand gefertigt und es kamen Puppenkleider dazu. Das traditionelle Material für Spielzeug ist das natürliche, warme Holz, leicht zu bekommen und leicht zu bearbeiten. In der Mitte des 16. Jahrhunderts kam das Metall in Form von Zinnsoldaten dazu. Diese erfreuten sich großer Beliebtheit in heroischen Zeiten und wurden in den Uniformen aller Nationen gefertigt. Ganze Schlachten wurden nachgespielt. Der zweite Weltkrieg bewirkte das Ende dieser Art von Spielen. Ab dem 18. Jahrhundert wurden Spielzeuge zur Massenware. Die Herstellung von Hand wurde ersetzt durch Maschinen. Daraus entstanden ganze Industriezweige. Spielzeuge wurden billiger, aber unpersönlicher. Man gewöhnte sich daran.
Im 19. Jahrhundert kam das Blechspielzeug auf den Markt. Dieses Material konnte leicht in Formen gepresst und bemalt werden. Der Gipfel ist ein mit Spiritus beheiztes Dampfmaschinchen, das andere Spielzeuge antreiben kann. Solches Spielzeug gibt es heute noch, ja im Retro-Design erfreut es sich größter Beliebtheit vor allem unter Erwachsenen.
Die Eisenbahn verbindet seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur Städte miteinander, sie faszinierte und zog in Form von naturgetreuen Modellen auch in die Kinderzimmer ein. Sie war zunächst mit einem von Hand aufziehbaren Federmotor ausgestattet. Erst in den 1930er Jahren kam die elektrische Eisenbahn auf den Markt. Der Elektromotor verlangte technische Kenntnisse und änderte das Spiel mit der Eisenbahn vollkommen. Die Väter sprangen ein und halfen, die Anlage aufzubauen. Nach dem zweiten Weltkrieg fand man in unserem Land fast in jedem Kinderzimmer die elektrische Eisenbahn. Die Firma Märklin, führend auf dem Gebiet der Spielzeug-Eisenbahn, produziert heute noch weiter für Sammler.
Holz oder Plastik, Stoff oder Kunststoff – Widersprüche der Moderne
Ein besonderes Spielzeug war und ist die Puppe – das kleine Ebenbild des Menschen. Schon in den ägyptischen, griechischen und römischen Kulturen wurde es gepflegt. Die antiken Puppen waren aus unterschiedlichen natürlichen Materialien gefertigt, der Kopf aus Holz, Ton, Knochen, Elfenbein oder Wachs. Im 19. Jahrhundert begann die serienmäßige Herstellung von Puppen, so im thüringischen Sonneberg in Heimarbeit. Die Köpfe wurden aus Knetmasse in feste Formen gepresst. Der Umsatz stieg stetig. Es kamen Köpfe aus Porzellan dazu, die Körper aus dem geschmeidigen, gummiartigen Guttapercha, später aus Zelluloid (Schildkröt).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fertigte Käthe Kruse zunächst für ihre eigenen Kinder Puppen an. Das Besondere daran war der säckchenförmige, mit Sand gefüllte Körper mit vier Zipfeln. Als sie ein allgemeines Interesse bemerkte, gründete Käthe Kruse eine eigene Firma in Bad Kösen. Ihre Puppen gingen in alle Welt, die Firma wird heute noch von ihren Nachkommen geführt.
Im Jahr 1919 wurde in Stuttgart die erste Waldorfschule gegründet. Im dortigen Handarbeitsunterricht entstanden Puppen neuer Art: Der Körper aus Stoff, mit Wolle gefüllt, das Gesicht mit angedeuteten Augen, Nase und Mund. Diese schmiegsamen, Phantasie anregenden Puppen sind unter dem Namen »Waldorfpuppen« weltweit bekannt.
Rudolf Steiner regte an, dass größere Kinder im Werkunterricht Spielzeuge für kleinere Kinder herstellen sollten. Insbesondere legte er Wert auf bewegliche Spielzeuge. Die so entstandenen Entwürfe wurden ab 1926 von der Waldorf-Spielzeug-Gesellschaft serienmäßig gefertigt und weltweit vertrieben. Im zweiten Weltkrieg wurde die Firma gezwungen, statt Spielzeug Munitionskisten herzustellen.
Das Material Plastik wurde erst nach dem zweiten Weltkrieg bekannt. Es breitete sich besonders schnell und gründlich im Spielzeugsektor aus, insbesondere für Kleinkinder. Es wird argumentiert, dass Plastik hygienisch sei, weil man es leicht reinigen kann. Kinder nehmen ja alles in den Mund. Aber es ist ein Schritt weg von der Natur. Man spricht von »Wegwerf-Spielzeug«. Gleichzeitig wurden im Kontrast dazu von der Firma Ostheimer Spielfiguren aus Holz weitgehend in Handarbeit hergestellt und weltweit vertrieben.
Der krasse Gegensatz dazu wurde 1952 in Amerika geboren: die »Barbiepuppe«. Sie wurde millionenfach maschinell produziert und kam 1964 auch auf den deutschen Markt. Von Anfang an wurde sie teils hoch geschätzt, teils verworfen. Die Frage ist, ob die bewusst sexy aufgemachte Puppe geeignet ist für ein Nachahmungsspiel.
Qualität oder Massenware – Geld wird mit beidem verdient
Im Jahr 1954 erkannte in Ulm Graf Thun die Gefahr, die durch die Überschwemmung mit primitivem Spielzeug auf unsere Kinder zukam und unternahm etwas dagegen: Bauend auf die dortige Hochschule für Gestaltung, gründete er ein Gremium von Eltern, die angeliefertes Spielzeug prüften und gegebenenfalls die Auszeichnung »spiel gut« erteilten. Gekennzeichnet wurden anerkannte Spielzeuge mit einem orangenen Punkt.
1956 gründete Michael Peter das Ladengeschäft »Kunst und Spiel« in München. Bewusst wählte er zusammen mit seinen Verkäuferinnen gutes Spielzeug aus. In Form, Farbe und Material wurden nur schöne Dinge angeboten. Dieses Konzept hatte Erfolg. Es wurde an vielen Orten nachgeahmt und entriss so manches Spiel der Vergessenheit. Seit 1960 wird jedes Jahr im Februar die Spielwarenmesse in Nürnberg abgehalten, wo Hersteller aus aller Welt ihre Produkte anbieten. Das hergestellte Spielzeug wird auf den Markt »gedrückt«, so nennen das die Verkäufer. Die Firmen haben es bewusst auf die Taschengelder der Kinder in Millionenhöhe abgesehen.
Die Fernsteuerung von Spielzeug kam in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts auf und ist heute eine Selbstverständlichkeit. Unsere Kinder verstehen, damit umzugehen, haben aber keine Ahnung, was da eigentlich geschieht. Das ist unter pädagogischen Gesichtspunkten ein ungesunder Zustand, aber wer von uns Erwachsenen durchschaut noch all die Geräte, mit denen wir umgehen?
Seit 2002 existiert eine Vereinigung von einigen Spielzeugherstellern, die sich »Spiel und Zukunft« nennt. Ihre sinnvollen Anregungen, Tipps und Informationen rund um Spielen und Spielzeug findet man unter www.spielundzukunft.de. Die Erkenntnis, dass Spielen ein ernst zu nehmender Kulturfaktor ist und dass es gepflegt werden muss, breitet sich heute – zum Glück – immer weiter aus.
Zum Autor: Dr. Walter Kraul, geb. 1926, war Lehrer an der Rudolf-Steiner-Schule in München-Schwabing. Nebenbei baute er eine Spielzeugmanufaktur auf.