Kleine Schritte führen auch zum Ziel

Uwe Decker

Auf Grundlage ihrer langjährigen Praxis in der Traumapädagogik mit Kindern haben die »Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V.« in Zusammenarbeit mit dem »Bund der Freien Waldorfschulen e.V.« im vergangenen Jahr eine telefonische Beratungsstelle zur Arbeit mit Flüchtlingskindern in Waldorfeinrichtungen geschaffen. Rasch stellte sich heraus, dass die Aufgabe vor allem in der Vernetzung besteht und Erfahrungen und Informationen weitergegeben werden müssen.

Gesetzliche Regelungen werden in jedem Landkreis anders umgesetzt und letztlich ist jedes Flüchtlingsschicksal ein Einzelfall. Verlässliche Aussagen zu Behördenentscheidungen sind nicht möglich und wir können häufig nur an die örtlichen Stellen verweisen.

Umso wichtiger ist es, Lösungen bekannt zu machen, die sich praktisch bewährt haben. Was hat in einer anderen Einrichtung funktioniert, was konnte umgesetzt werden?

Wege, wie Flüchtlingskinder überhaupt in Waldorfeinrichtungen kommen, gibt es mehrere. Einerseits gibt es Waldorfpädagogen, die sich Gedanken machen, wie sie Flüchtlingskinder integrieren können und bei den örtlichen Behörden ihre Bereitschaft bekunden. Trotzdem werden sie zum Teil abgelehnt, auch dann, wenn staatliche Schulen vor Ort längst keine freien Kapazitäten mehr haben. Andererseits gibt es Waldorfeinrichtungen mit einer Flüchtlingsunterkunft in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Kinder stehen förmlich vor der Tür und die Einrichtungen können gar nicht anders, als sie hereinzulassen. Die rechtlichen und finanziellen Fragen stellen sich oft erst im Nachhinein. Und es gibt Oberstufenschüler, die durch ihr ehrenamtliches Engagement als Vorreiter fungieren und dadurch Kontakte zwischen Schulen und Geflüchteten herstellen.

Ängste in der Elternschaft vor unberechenbaren Einflüssen gibt es häufig, sie stellen eine zusätzliche Herausforderung dar. Deshalb müssen alle Beteiligten mit im Boot sein. Einem Kollegium, das sich nicht einig ist, ob Flüchtlingskinder aufgenommen werden sollen, wird der Einstieg schwerfallen. Eltern und Schüler, die sich übergangen fühlen, werden wenig kooperativ sein.

Info-Veranstaltungen, Vorträge und offene Elternabende, zu denen Pädagogen aus anderen Schulen eingeladen werden, die eine gelingende Flüchtlingsarbeit praktizieren, sind empfehlenswert. Der Bericht aus einer anderen Schule mit der Botschaft »Integration ist möglich und kann ein Gewinn für alle sein« baut Ängste und Vorbehalte ab. Ebenso ist ein langsamer Einstieg ratsam. Besser erst einen kleinen Schritt und dann den nächsten, zum Beispiel eine Einladung der Bewohner einer benachbarten Unterkunft mit Führung durch die Einrichtung, ein gemeinsamer Imbiss oder Spiel- und Sportangebote für Kinder und Jugendliche. Gemeinsame Aktivitäten wie Kochen, regelmäßige Ausflüge oder ein Chor können folgen. Die Aufnahme einzelner Schüler kann sich daraus ergeben.

Für alle Pädagogen, die mit Flüchtlingskindern arbeiten, sind vorbereitende Seminare und Fortbildungen unumgänglich. Seit letztem Jahr wird deutschlandweit auf diese Weise praktisches Wissen weitergegeben und ausgetauscht.

Das ehrenamtliche Engagement ist besonders für Oberstufenschüler eine Bereicherung in biografisch schwieriger Zeit. Lehrer berichten, wie Einzelne daran wachsen und aufblühen. Das gilt auch für Eltern, Lehrer und Erzieher aus dem Umfeld einer Einrichtung, besonders für diejenigen, die sich im Ruhestand befinden. Es gibt eine Menge zu tun: Hilfe bei den Hausaufgaben, zusätzlicher Deutschunterricht, Sport- und Freizeitgestaltung, Hilfe bei Behördengängen und nicht zu vergessen: die Kontaktpflege zu den Eltern der Flüchtlingskinder.

»Freiwilligendienstler« wirken ebenfalls entscheidend mit. Sie stellen ein wichtiges Bindeglied der Integration innerhalb und außerhalb der Einrichtung dar. Ein Freiwilliger im Flüchtlingsbezug ist an seiner Einsatzstelle tätig (Waldorfschule oder Waldorfkindergarten), darf aber auch außerhalb alles begleiten und unterstützen, was im weitesten Sinne der Integration der Flüchtlinge dient.

Geflüchtete Menschen, die in Deutschland eine Bleibeperspektive haben, können ebenfalls Freiwilligendienst leisten. Auch ein Freiwilligendienst im Flüchtlingskontext ist möglich, was besonders im Hinblick auf sprachliche und kulturelle Barrieren Gewinn und Hilfe sein kann.

Mit Incomern (Freiwillige aus dem Ausland, die in Deutschland einen solchen Dienst absolvieren) liegen ebenfalls gute Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit vor – vermutlich deshalb, weil sie ein besonders feines Gespür dafür haben, was es heißt, in einem anderen Land mit einer anderen Kultur fremd zu sein.

Vorbereitungsklasse oder Integration in bestehende Klassen?

Immer wieder taucht die Frage auf, ob eine Vorbereitungsklasse oder die sofortige Integration in bestehende Klassen das bessere Konzept sei. Das kann nicht allgemein beantwortet werden. Beide Modelle und diverse Zwischenstufen (zum Beispiel die erste Doppelstunde integriert und danach Sprachunterricht nur für die Flüchtlingskinder) werden erfolgreich praktiziert. Wenn in jeder bestehenden Klasse nur wenige Flüchtlingskinder aufgenommen werden, kann auch eine sofortige Integration gut funktionieren. Patenschaften von Eltern und Oberstufenschülern sind ebenfalls hilfreich.

Für geflüchtete Jugendliche sind Vorbilder eine große Hilfe: Menschen, die vor Jahren schon nach Deutschland geflohen sind und sich hier eine Existenz aufgebaut haben oder Studierende, die als Flüchtlingskinder nach Deutschland gekommen sind. Laden Sie diese Menschen ein, wenn möglich Muttersprachler der Geflüchteten. Diese Vorbilder wirken motivierend und ermutigend. Durch sie wird sichtbar, dass erfolgreiche Migration und Integration gelingen kann.

Zum Autor: Uwe Decker leitet die Freiwilligendienste in Deutschland bei den Freunden der Erziehungskunst e.V.

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