Soziale Eiszeit

Henning Köhler

»Danke, dass ihr uns in den Arsch tretet«, rief Robert Habeck auf einem GRÜNEN-Parteitag der deutschen Klimaschutzaktivistin Luisa-Marie Neubauer zu. Jetzt brauchen schon die GRÜNEN Arschtritte, um sich daran zu erinnern, dass sie einst als radikalökologische Partei angetreten waren. Ja, wir müssen unser Leben ändern. Hoffentlich ist den protestierenden jungen Leuten klar, dass dies in einigen empfindlichen Punkten auch sie selbst betrifft. Es würde ihnen zum Beispiel abverlangen, ihre persönliche CO2-Bilanz aufgrund exzessiver Flugreisen unverzüglich zu verbessern, die Nutzung digitaler Medien stark einzuschränken und auf ein eigenes Auto zu verzichten. Elektromobile sind auch keine Lösung. Sprecherinnen und Sprecher der Bewegung deuten an, dass ihnen die systemsprengenden Konsequenzen ihres Engagements bewusst sind. Gefragt, was konkret zu tun sei, antwortete Greta Thunberg: »Es ist unmöglich, einen Punkt herauszugreifen, weil sich praktisch alles ändern muss.« Xiuhtezcatl Martinez (18), Thunbergs Vorläufer als Ikone der jungen Klimaschutzbewegung – er sprach schon mit 15 vor den Vereinten Nationen –, stellt klar: »Für mich geht es bei dieser Bewegung um mehr als den Klimawandel. […] Es geht darum, die Kultur zu verändern.« Auf der großen Schülerdemonstration Ende März in Berlin trug ein Transparent die Aufschrift: »Das Problem ist der Kapitalismus.« Hört, hört.

Die Schüler sind gut beraten, nicht allein auf den Klimawandel zu fokussieren. Sonst entsteht der Eindruck, man müsse nur die CO2-Emissionen verringern, und alles wäre gut. Das ökologische Desaster hat noch andere Dimensionen. Merkwürdig still geworden ist es zum Beispiel um die fortgesetzte Verseuchung des Planeten durch Kernenergie. Greta Thunberg wiegelt hier sogar ab. Außerdem: Ebenso beunruhigend wie der drohende ökologische Kollaps ist die weltweit vergiftete geistige Atmosphäre, durch ein Gemisch aus Militarismus, Nationalismus, neuem Autoritarismus, zügelloser Profitgier, wachsender sozialer Ungleichheit, religiösem Fanatismus, Hass auf Fremde, Andersgläubige und Minderheiten. Wobei alles mit allem zusammenhängt.

Eine dringende Bitte möchte ich an die Schüler richten: Ignoriert nicht das Flüchtlingselend! Die sogenannte westliche Wertegemeinschaft steht vor der größten humanitären Herausforderung ihrer Geschichte und bietet ein Bild des Jammers. Auch das zeigt einen Klimawandel an. Die Erd- erwärmung geht einher mit dem Beginn einer moralischen und sozialen Eiszeit. Bemerkenswerte Synchronizität der Ereignisse. Ich will nicht unerwähnt lassen, dass es mir Unbehagen bereitet, wie Greta Thunberg mit ständigen, pene- tranten Verweisen auf ihre Asperger-Diagnose zum Medienstar hochgejubelt wird und folglich einem Shitstorm in den asozialen Medien ausgesetzt ist. Mit diesem Personenkult ist weder Greta noch der Sache gedient. Im Gegenteil.

Zuletzt: Auf vorbildliche Weise hat sich die Windrather-Talschule zu den Schülerprotesten positioniert. Alle Waldorfschulen sollten sich ein Beispiel daran nehmen.

Literatur: https://www.informatik-aktuell.de/management-und-recht/digitalisierung.htm

W. Wolf: Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt, ProMedia 2019

Windrather Talschule zu fridays for future