Zuviel Unterricht

Holger Michels

In der Ecke vergleichen drei Mädels ihren Nagellack, davor hat einer seinen Kopf auf den Tisch gelegt und schläft. Ein weiterer Junge versucht, in einer betont femininen Form den unsichtbaren Catwalk zu beschreiten. Dabei erhält er lautstark Tipps von einer Menge Mädels. Der Rest der Klasse geht ebenso irgendwelchen »wichtigen« Tätigkeiten nach. Auf der Tafel steht: »Der Schüler XY stinkt« und darunter hat irgendwer einen »Flying Penis« gemalt. Über all dem hängt eine warme Glocke aus Schweiß und Testosteron, und es herrscht eine Lautstärke, als wenn man seinen Kopf in das Triebwerk eines Jumbos halten würde.

So in etwa ab der achten bis zur zehnten Klasse wird bei den Schülern im Innern, quasi im Oberstübchen, umgebaut und renoviert. Und dafür müssen nun mal alle Möbel raus. Bei den Schülern heißt das Möbel Hirn. Wenn sie fertig sind mit Renovieren, so irgendwann Ende der zehnten Klasse, finden sie dann meistens dieses Möbelstück wieder. Und dann kann es weiter gehen.

Es gibt immer wieder die Frage, ob in der Waldorfschule nicht zu viel Unterricht ausfällt. Ich glaube in den Klassen 8 bis 10 findet viel zu viel Unterricht statt. Während der Pubertät führt intellektuelles Unterrichten zu Frustration und Überforderung auf allen drei Seiten: Schüler, Lehrer und Eltern. Also: Warum der Stress?

Ich bin mir völlig sicher: Zu Beginn der Waldorfbewegung hätte ich für diesen Umstand andere Worte gefunden. Zu dieser Zeit gab es jedoch auch noch keine Jumbojets und so weiter und so fort …