Allerdings wusste ich im Grunde nie, was Krieg bedeutet. Wenn meine Verwandten vom Krieg sprachen, hatte ich selten Interesse daran. Fast schon genervt hörten wir weg. Das bereue ich heute aus tiefstem Herzen. Jetzt höre ich in den Nachrichten «der Krieg ist in Europa zurück». Und wieder meine Erkenntnis, dass ich eigentlich nicht weiß, was es bedeutet. Ich sehe schreckliche Bilder, ich höre entsetzliche Geschichten, ich denke: «das kann doch gar nicht wahr sein». Haben sich unsere Väter und Mütter, unsere Großväter und Großmütter nicht versprochen: «Nie wieder Krieg»?
Was ich erst jetzt verstanden habe, «einfach nicht hingehen» geht gar nicht. Überzeugte Pazifist:innen bleiben in der Ukraine und melden sich zum Militär. Väter und Mütter melden sich freiwillig, um zu helfen, egal wo und wie. Wohnhäuser und Schulen, Krankenhäuser und Theater – die Bomben fallen überall. Ich lese von zerstörten Familien, Existenzen und den zerstörten Gebäuden und Wiesen und Feldern. Und genau das passiert leider seit Jahren an vielen Orten auf der Welt, nur diesmal ist uns der Krieg geographisch so nah gekommen.
Es gibt kaum einen größeren Kontrast dazu als unser friedliches Leben im ganz Kleinen, mit Partner:innen und Freund:innen, im Austausch mit Kolleg:innen. An den Waldorfschulen sind alle Beteiligten gespannt, was das neue Schuljahr bringen mag. Dass wir uns mit Corona wieder auf neue Herausforderungen einstellen müssen, sorgt inzwischen für fast keine Aufregung mehr. Die Kollegien treffen sich voller Ideen in der Vorbereitungszeit und die Schüler:innen haben jede Menge Geschichten im Gepäck. Es gibt intakte Schulgebäude und Klassenzimmer, es gibt Essen in der Schulküche und einen Stundenplan, der allen das Ein- und Ausatmen ermöglicht. So kann es sein – und damit wäre Frieden im Kleinen möglich.
Wenn jedoch Macht an Bedeutung gewinnt, dann wird der Frieden (auch) im Kleinen gestört. Es können verbale Bomben fallen und es können Verletzungen entstehen, die schwer heilbar sind. Machtmissbrauch findet sich auch an unterschiedlichen Stellen im Schulalltag und ist der Keim für kalte Konflikte, für Unklarheit und Streit. Ich übe jeden Tag aufs Neue, nur das Gute im anderen zu sehen und wenn ich dann dazwischen gehe, wo Streit und Ärger in meinem Umfeld brodeln, kann ich Gewalt verhindern.
Frieden ist ansteckend. Ich bin dem Bund der Freien Waldorfschulen und den Freunden der Erziehungskunst sehr dankbar, dass so schnell Hilfe für Menschen in und aus der Ukraine organisiert werden konnte. So wie es bereits auch 2015 an vielen Waldorfschulen in Deutschland möglich war, Flüchtlingskinder und Jugendliche aus Syrien aufzunehmen. Ich will die Augen nicht verschließen vor dem Krieg und dem, was in der Welt passiert. Lasst uns eine gemeinsame Anstrengung unternehmen und Frieden stiften, wo es möglich ist. Vielleicht können wir eine Botschaft verbreiten, die denen Kraft gibt, die «nicht hingehen wollen, aber müssen».
Kommentare
Es sind noch keine Kommentare vorhanden.