Kunst rebelliert und heilt. Kunst reißt neue Horizonte auf, treibt ungeahnte Fähigkeiten an die Oberfläche. Kunst verändert, hebt den Blick auf die Welt und ihre Wissenschaft versucht sie zu rekonstruieren. Kunst ist Ergebnis und Prozess. Kunst ist Kommerz, Massenproduktion, Spekulationsobjekt und Kapitalanlage. Kunst ist profan, dekadent, heilig ...
Manuel malt tief versunken. Linien, Kringel, Kreuzchen, bunte Flächen, Muster. Er scheint keinen Plan zu haben. Nach einer Weile komme ich wieder zu ihm. Er zeigt mir stolz sein Blatt: Bauernhof! – Manuel zeigt mit bestimmter Geste auf Haus, Wiese, Traktor, Kuh und Katze. Nein, ich muss es mir nicht einbilden – jetzt sehe ich den Bauernhof auch, ich habe nur nicht richtig hingeschaut.
Auch Linda schaut. Sie ist im Centre Pompidou in Paris, steht vor dem kubistischen Bild »Femme en bleu« von Picasso –»Was ist das? – Kunst?« Ich meine, etwas ausholen zu müssen, erzähle eine kleine Kunstgeschichte, kann die Stellung und Tiefen des Kunstwerks nur andeuten. Linda gähnt, hat das Interesse schon verloren. Ihr Kommentar: »Hmmh, bei Kunst muss man doch nichts erklären ...« Ja, ist das Kunst, wenn sie nicht für sich selbst spricht?
Ich bin auf der documenta 13 in Kassel. Mein Blick fällt auf die Filzspaten von Beuys. Meine Zähne fühlen sich gleich pelzig an, als ob ich Spinat gegessen hätte. Ich bin fasziniert von dieser Materialkombination – wie 1977 an gleichem Ort von der »Honigpumpe« ... Es ist ein Evidenzerlebnis: Getroffen!
Kunst liegt vor ihrer Vermittlung, vor ihrer Rezeption, wie das Wort vor der Sprache. Kunst kann nur geschehen, unmittelbar aus sich heraus und direkt erfasst werden – alterslos.