Liebe Leserin, lieber Leser!
Früheinschulung, Turboabitur, Bildungsstandards … das sind die bildungspolitischen Maßnahmen, um unser Bildungssystem billiger und effizienter und unsere Kinder intelligenter zu machen. Auch die ersten Lebensjahre bleiben von dieser Entwicklung nicht verschont: Kinderkrippen ab 0 Jahren und Frühförderung im wissenschaftlichen Lernen, dazu minutiöse Dokumentationsberichte, durch die die kindliche Entwicklung optimiert werden soll. Erziehungspartnerschaften von Eltern und Erziehern drohen zu einem pädagogischen Zwangsbeglückungsunternehmen zu werden, dem das Kind von der Geburt bis zum Verlassen der Schule nicht entweichen kann. Die pädagogische Therapiefreude kennt keine Grenzen, gefüttert von der elterlichen Angst, dem »Du sollst es einmal besser, mindestens einmal genauso gut wie wir haben« nicht gerecht zu werden. Nachhilfe und Förderung aus allen Ecken. Dabei täte den Kindern weniger Betreuung und Belehrung in Kindergarten und Schule gut. Aktuelle Studien belegen: In der Familie entfalten sich die Kinder am besten. Eine Entpädagogisierung des Kinderalltags tut also Not.
Kinder brauchen kein lückenloses pädagogisches System, sondern pädagogisch unkontrollierte Freiräume für ihre gesunde Entwicklung.
Spätestens wenn die Kinder in die Pubertät kommen, rächt sich der erzieherische Overdrive. Denn eine pädagogische Überfütterung hält kein junger Mensch aus. In diesen Jahren muss Schule radikal entschult werden. Raus in die Welt: Projektarbeit, Auslandsaufenthalte, am besten eine mehrjährige Lehrzeit.
Danach kann schulisch reüssieren, wer mag.
Dass Jugendliche biographische Parallelwelten aufbauen, sich brävlich anpassen, schulmüde oder renitent werden oder gar die Schule schmeißen, gehört zum Muster des Systementzugs. Es verfestigt sich schnell zur Lebenshaltung und verbaut ihnen tatsächlich Lebenschancen – und zwar nachhaltiger als die (nicht absolvierten) Schulabschlüsse, da sie keine Schule hatten, die ihnen half, einen inneren Anschluss an sich zu finden.
Was kann dann Ziel der Pädagogik sein? Dass die Kinder und Jugendlichen ihre Fähigkeiten entdecken lernen und sie Aufgaben finden lässt, die mit ihnen selbst in Einklang sind und nicht vom Notendurchschnitt diktiert werden. Erst dann können später im Berufsleben wieder Richter als Gerechte über andere urteilen, Ärzte als Heilende wirken und Pädagogen Entdecker und Begleiter beim Lernen sein.
Aus der Redaktion grüßt
Mathias Maurer