Erziehungskunst | Was ist Intuitive Pädagogik, Herr Ahlbom?
Pär Ahlbom | Wenn Wahrheit als Tätigkeit gedacht werden kann, schimmert die echte Bedeutung von Intuition durch. Es ist 40 Jahre her, da wollte ich mit ein paar Freunden – alles junge Antroposophen –, die frustriert waren von ihren eigenen schlechten Erziehungs- und Schulerfahrungen, in Järna eine neue Schule machen. Dort sollten die Kinder eine lebendige, menschliche Wirklichkeit vorfinden, sich geborgen fühlen und sich autonom entwickeln können.
Unsere Ausgangspunkte waren dabei zum einen Rudolf Steiners pädagogische Ideen, zum anderen eigene musikalische Erfahrungen; daraus entwickelten sich zahlreiche künstlerische Übungen, die die Grundfragen des Lebens bewegen und weit über das Schulleben hinausreichen. Wir wollten die Intuition durch praktische Übungen wachrufen; Freude und die Bereitschaft, spielerisch mit den eigenen Grenzen und Blockaden umzugehen, gehören dazu. Dieser Ansatz kann die Fähigkeit stärken, auch schwierigen Situationen mit authentischer Lebendigkeit zu begegnen.
EZ | Rudolf Steiner beschreibt den Weg zur pädagogischen Intuition als Dreischritt: Der Lehrer macht sich ein gesättigtes Bild vom Kind, dann meditiert er dieses Bild in Seelenruhe und nimmt es mit in die Nacht. Dadurch ist er spirituell offen für eine Intuition, die sich am nächsten Tag im Unterricht als der richtige Einfall im richtigen Moment äußert. Sie scheinen einen anderen Weg zu gehen.
PA | Ich würde lieber sagen, wir gehen keinen anderen Weg, sondern nur den gleichen Weg anders. Denn ich habe gemerkt, dass wir heutzutage mehr und mehr praktisch-leiblich üben müssen, um dem »Kindlichen« näherzukommen. Durch Schulung kann sich jeder Mensch vor allem auf künstlerischem und kommunikativem Feld diesen Zugang neu erschließen. Sie ist in jedem Menschen als Anlage vorhanden, muss aber angeregt werden, um sich zu entfalten.
Während bei Steiner in erster Linie der Wille und das Denken des Erwachsenen angesprochen wird, versuchen wir vor allem den Willen und das Gefühl anzusprechen. Ein Beispiel, das jeder kennt: Im Leben nähert man sich immer wieder einem Punkt, an dem man an seine eigenen Grenzen stößt. Dort auszuhalten und übend sich kennenlernen, lässt uns in solchen anscheinend hoffnungslosen Situationen über unsere bisherigen Begrenzungen hinauswachsen und handlungsfähig bleiben.
EZ | Und Sie meinen, da können wir etwas von den Kindern lernen?
PA | Ja. Wenn wir Erwachsenen auch so neugierig spielen und üben wie Kinder, bilden wir nicht nur an unserem eigenen Selbst, sondern auch an einer Kulturerneuerung, die aus einem solchen – ich nenne es primären Leben – hervorgehen kann. Das meinte Schiller, als er sagte: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Kinder spielen sich ins Leben und entwickeln daraus Wesentliches und Prägendes für ihr Leben. Die pädagogischen Hemmnisse, wozu ich pädagogische Vorstellungen, Routine, eigene Blockaden als Pädagoge und so weiter zähle, behindern das Kind in seiner Entwicklung. An deren Auflösung können wir arbeiten, auch wenn dies durch peinliche Abgründe führt. Die Kinder atmen solche Bemühungen der Erwachsenen ein und wachsen dadurch lieber in ihr eigenes Schicksal hinein.
EZ | Was zeigt sich in den Übungen mit den Teilnehmern?
PA | In den einfachsten Körperübungen zeigen sich sehr schnell die Hinderungen eines Menschen. Ich baue zum Beispiel einen Turm aus Bänken oder Tischen auf, der auf einer dicken Matte steht.
Steige ich hinauf, merke ich, dass das eine wackelige Angelegenheit ist, je höher desto wackeliger. Unser Körper reagiert darauf mit Bewegungen; er ist unser weisestes Wesensglied, denn er ist die Grundlage all unserer Begriffe, und am Anfang jeglichen Lernens steht das Begreifen. An ihm zeigen sich buchstäblich unsere Gestalt gewordenen Angst- und Vorstellungsblockaden – und die wirken unbewusst auf jedes Kind! Ich kann sogar sagen, dass die Stimmung eines Kollegiums sich in der Stimmung der gesamten Schule widerspiegelt.
Dazu gehören alle Arten von Ausbildungsideologien – auch die waldorfpädagogische. Viele Pädagogen sind psychologisch völlig unbewandert, vor allem in Bezug auf sich selbst. In der Lehrerbildung fehlt es oft an der Ausbildung einer Gefühlskultur. Unsere Arbeit will also zu einer unmittelbaren Selbsterfahrung und einem authentischen Umgang mit Signalen führen, die wir permanent aussenden.
EZ | Das mag man »theoretisch« nachvollziehen, aber wie verändert der Mensch seine Verhaltensmuster tatsächlich?
PA | Besonders die Arbeit an den Körper-Sinnen, wie zum Beispiel dem Tastsinn, dem Eigenbewegungssinn, dem Lebenssinn oder dem Gleichgewichtssinn, führt uns näher an den Zustand der Gegenwärtigkeit, in dem die Kinder noch selbstverständlich leben. Dabei kommen mir oftmals an tiefere Gefühlsschichten, es brechen Ängste auf, Wut und Trauer kommen hoch. Um uns zu öffnen und bereit zu sein, uns zu entwickeln, benötigen auch wir Erwachsene Vertrauen, Schutz und Geborgenheit – wie die Kinder. Unser primäres Leben findet immer im Hier und Jetzt statt und ist nicht auf Effektivität, Nützlichkeit und Funktionalität ausgerichtet. Um darin etwas zu verändern, brauchen wir mehr energische Pausen und »fließende Resignation« (Steiner).
EZ | Wie bilden wir diese Gefühlskultur aus?
PA | Wir erreichen dies dadurch, dass wir direkt aus unseren Erfahrungen an den Übungen heraus miteinander sprechen und nicht »über« die Übungen. Und indem wir immer weiter an dem selben bleiben, nicht aufsteigen durch Stufen oder »Klassen«. Diese Fortbildung garantiert nichts. Die Entwicklung geschieht individuell durch vertiefende Wiederholung. Jeder kann das verpassen. Den Zugang zu der eigenen Kraft und Lebensfreude finden wir nur über das Gefühl. Haben wir ihn verloren, führt das zu Burnout. Aber in diesem Bereich sind wir meist Analphabeten, nahezu primitiv. Humor und Improvisation sind auf diesem Lernweg unsere besten Begleiter.
EZ | Was heißt das konkret für die Schule, wie verändert sie sich?
PA | Man verabschiedet sich von der Illusion eines Klassenverbandes, und es ist wirklich eine Kunst individuell und gleichzeitig für eine ganze Gruppe zu unterrichten. Dann die Zusammenarbeit mit den Kollegen – besonders mit den Andersdenkenden.
Toleranz ist etwas Altes, aber mit dem Gegner zusammenarbeiten ist neu. Dafür braucht es vorbehaltloses Interesse – wie bei Kindern. Bei gesunden Prozessen sind Ergebnisse immer eine Art »positiver Abfall«. Kinder sind hier und jetzt. Das sollten die Erwachsenen von ihnen lernen.
Die Fragen stellte Mathias Maurer.
Links: www.intuitive-paedagogik.de | www.desax.se