Wie kann man Schüler:innen Macht über ihre eigene Sprache und ihr mediales Sprechen geben und gleichzeitig verhindern, dass sie ihre Macht missbrauchen? Mittels der App Buzzard will ein Team um Franz Glaw, Mitarbeiter am Tessin-Institut für Medienpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart, Medienmündigkeit bei Schüler:innen verstärken.
Glaw ist seit über 30 Jahren Oberstufenlehrer für Deutsch und Mathematik und hat 2008, als wegen eines Masernausbruchs an der Waldorfschule Düsseldorf ein Großteil seiner Schüler:innen zuhause bleiben musste, Unterrichtsvideos produziert. Bundesweit staunten die Medien damals über die moderne Waldorfpädagogik und in der Waldorfcommunity ist Glaw seitdem berühmt. Später engagierte sich Glaw im Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen für Medienpädagogik und in der Lehrer:innenbildung. Wer sich mit ihm unterhält, stellt schnell fest, dass Glaw ein leidenschaftlicher Lehrer ist. Unterrichten ist für ihn Krafttanken. «Ich werde gepusht von den Schülern und gehe mit besserer Laune und mehr Energie am Ende eines Schultages nach Hause, als ich morgens hatte», berichtet Glaw.Glaws jüngstes Projekt ist der Einsatz einer App im Unterricht, die der Medienflut etwas Ordnendes entgegensetzen kann. Im Team mit Hein Köhler (RSS Nordheide) und Karoline Kopp (FWS Landsberg) erprobt er den Einsatz der Buzzard-App in Schulen. «In Zeiten von Fake News, Hate Speech, Echokammern und Filterblasen wird ein verlässliches Urteilen und eine konstruktive Kommunikation immer schwieriger. Hier kann die Nachrichtenplattform Buzzard unterstützen», so Glaw.
«Sie ist sowohl im Internetbrowser als auch als App nutzbar und ermöglicht es, verschiedene Meinungsbeiträge aus Zeitungen, Blogs und Onlinemagazinen zu den wichtigsten Themen des Tages miteinander zu vergleichen und Hintergrundinformationen zu der politischen Tendenz von Medien und Autor:innen in Erfahrung zu bringen, um so einen reflektierten Umgang mit Medien zu vermitteln.» An Waldorfschulen in Mönchengladbach, Landsberg und Kakenstof haben innerhalb des letzten Jahres Workshops mit den Gründern des Buzzard-Startups, Felix Friedrich und Dario Nassal, in der Oberstufe stattgefunden.
Das tägliche Debatten-Thema
Buzzard präsentiert zu je drei Tagesthemen verschiedene Perspektiven und wählt täglich eines dieser Themen zur «Debatte des Tages». Hierzu gibt es dann Pro- und Contrabeiträge, aber auch Artikel mit vertiefenden Informationen. Diese Beiträge sucht ein Team von zwölf Journalist:innen aus rund 1.800 deutschen und englischsprachigen Zeitungen und Blogs nach transparenten Kriterien aus. Bedingung hierfür ist, dass das Thema in mindestens fünf überregionalen Medien diskutiert werden muss. «Auch für Menschen, die sich bereits für gut informiert halten, eröffnet die Buzzard-App neue Anregungen und Sichtweisen», berichtet Glaw. «Hilfreich sind auch «Der Tag auf einen Blick» und die Zusammenfassungen zu jedem Beitrag, für die nur rund dreißig Sekunden Lesezeit nötig sind.»
Einbindung in den Unterricht und Pilotschulen
Die Buzzard-App lasse sich an vielen Stellen in den Unterricht einbinden, berichtet Glaw. «Mit einer einmaligen Unterrichtsveranstaltung sind Informationskompetenz und die Fähigkeit zur Urteilsbildung natürlich nicht erreicht. Dem waldorfpädagogischen Grundprinzip «Lernen durch reflektiertes Handeln» entsprechend, können journalistische Darstellungsformen in vielfältiger Weise den Schulalltag bereichern. Dazu gehören etwa Nachricht, Bericht, Kommentar, Meinung, Reportage oder Interview. Das ist auch dann gut möglich, wenn es kein eigenes Fach Medienkunde gibt. Ziel ist dabei ein Kennenlernen und Erüben des journalistischen Handwerkszeugs. Das kann beispielsweise eine Interviewstory mit dem neuen Klassenlehrer, eine Reportage vom Landwirtschaftspraktikum oder ein Bericht vom Weihnachtsmarkt als Titelseite einer Tageszeitung sein, der dann in den Schulmitteilungen veröffentlicht wird.
Buzzard bietet mit den täglichen Debattenthemen auch reichhaltiges und gut aufbereitetes Material für ein Argumentationstraining in mündlicher Form. Sich seine eigene Meinung zu bilden und sich im direkten Gespräch mit Andersdenkenden darüber auseinanderzusetzen, ist gerade in der beginnenden Oberstufe ein essenzielles Bedürfnis der Jugendlichen. Pädagogisch bewährt hat sich dabei eine Form der Debatte, die nach strengen Regeln und Zeitvorgaben Gruppen im Wettstreit gegeneinander antreten und Themen argumentativ verhandeln lässt.
Aktuell werden von drei Pilotschulen Mönchengladbach, Landsberg am Lech und Kakenstorf gemeinsam mit dem Buzzard-Team Unterrichtsbeispiele für verschiedene Fachbereiche entwickelt und ermöglichen es den Lehrer:innen, Unterrichtsvorhaben, ohne allzu große Vorbereitung zu realisieren. Das Team um Franz Glaw möchte das Projekt gerne ausweiten und freut sich, wenn noch weitere Waldorfschulen an dem Projekt teilnehmen. Kontakt: glaw@freie-hochschule-stuttgart.de
Der Buzzard-Workshop
an der Rudolf-Steiner-Schule Nordheide im März 2022 bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil war eine hybride Abendveranstaltung für Eltern, das Kollegium und Schüler:innen aus der Oberstufe. Der zweite Teil war ein Workshop, der für die neunte und zehnte Klasse angeboten wurde.
Am Abend stellten Franz Glaw, Karoline Kopp und Hein Köhler die Ziele der direkten und indirekten Medienpädagogik vor. Dario Nassal vom Buzzard-Team erläuterte, wie die Buzzard-App funktioniert und wie damit Urteilsfindung im Informationszeitalter möglich sein kann.
Der Workshop am Folgetag mit den Schüler:innen setzte genau dort praktisch an. So wurde zuerst gemeinsam erarbeitet, weshalb es wichtig ist, den Blick in die Welt zu weiten und sich mit den Themen auseinanderzusetzen. Davon ausgehend wurden dann die wichtigsten Nachrichten der letzten beiden Wochen gesammelt. Die Workshopleiterin wählte eines dieser Themen zur Weiterbearbeitung aus und gab der Klasse sechs verschiedene Haltungen dazu, die in der Buzzard-App aus der Medienlandschaft zu finden waren. In Sechsergruppen erhielten alle Workshopteilnehmer:innen eine Position zugewiesen, sollte diese verstehen und argumentativ vertreten und kam dann durch eine zufällige Zuteilung dazu, diese gegenüber einer anderen Person zu vertreten und zu diskutieren.
Von Seiten der Schüler:innen wurde der Workshop sehr positiv aufgefasst. In Diskurse eingetaucht zu sein und dabei verschiedene Positionen, die bisher fremd waren, kennengelernt zu haben, empfanden viele als wichtiges und sinnvolles Erlebnis.
Hein Köhler, Rudolf-Steiner-Schule Nordheide
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