Ausgabe 04/24

Mal Spagat, mal Kinderspiel

Anne Brockmann

Es ist 19 Uhr in Leipzig. Mittwochabend. Vielerorts sind in den Häusern allmählich alle Familienmitglieder beisammen, essen gemeinsam und bereiten sich auf einen gemütlichen Abend vor. Nicht so bei Familie Heins. Hier sind beide Eltern Musiker:innen und für Mutter Ursula Heins hat erst vor wenigen Stunden der Arbeitstag begonnen. Sie ist Solo-Harfinistin der Staatskapelle Halle und spielt heute Abend ein Konzert. Zuhause sind Ehemann Karsten und Sohn Emil.

«Ich arbeite unregelmäßig und oft abends. Damit bin ich für die beständige Mitarbeit in einem Gremium an unserer Schule raus. Aber ich versuche, mich nach meinen Möglichkeiten einzubringen», sagt Ursula Heins. Bei Klassenspielen und Chorprojekten ist sie als Profi gefragt, wenn es um die musikalische Begleitung geht. Das findet sie «unkompliziert und naheliegend». Und auch mit spontanen Anliegen kann die Schule bei ihr an der richtigen Adresse sein. «Abends zu arbeiten, bedeutet, vormittags frei zu haben. Da kann ich also schon mal in der Schulküche aushelfen, wenn es dort einen hohen Krankenstand gibt», erzählt sie. Im vergangenen Jahr hätte es so eine Situation gegeben. Da hat sie drei Tage lang in der Schulküche ausgeholfen. Außerdem unterstützt sie bei der Durchführung von Festen, baut zum Beispiel Stände auf und ab und backt Lebkuchenmänner.

Es gibt aber auch Phasen, da ist sie einfach nicht verfügbar. Denn etwa ein Drittel des Jahres ist Heins auf Tour. Ihr Mann ist dann «quasi alleinerziehend» und wenn sie von einer Reise zurückkommt, geben sich die beiden manchmal nur die Klinke in die Hand. «Ein schlechtes Gewissen, dass ich mich in diesen Zeiten nicht ins Schulleben einbringen kann, habe ich nicht. Aber ich bedauere es. Ich habe manchmal das Gefühl, etwas Wichtiges zu verpassen und das zerreißt mich dann ein bisschen», sagt Heins. Sich als Mutter in der Schule ihres Sohnes einzubringen, erfüllt sie mit Freude, schreibt sie in einem Rundbrief der Schule und vor allem, sich für eine Sache den Hut aufzusetzen, sei eine wertvolle Erfahrung: «Das Delegieren und das Erstellen von Doodle-Listen macht zwar im ersten Augenblick mehr Arbeit als einiges einfach selbst zu erledigen. Aber der Mehrwert für die Klassengemeinschaft, das Wachsen und Bunter-Werden durch Ideen und Engagement anderer ist es immer wert. Neue Formen in der Lebkuchenbäckerei, spannende Waffelbeläge, fantasievolle Sammeleien für das Moosgärtlein. Herrlich!»

Bei ihrem eigenen Wohlwollen dem Elternengagement gegenüber ist es Heins aber auch wichtig, zu sagen, dass sie deshalb nicht von allen anderen erwartet, sich in der gleichen Weise einzubringen. «Ich glaube, das ist ganz stark Typsache und das finde ich okay. Letztlich wissen wir nie, wie das Leben morgen spielt – bei uns und bei anderen. Grundsätzlich unterstelle ich erstmal allen, dass sie sich nach ihren Möglichkeiten einbringen und diese Möglichkeiten können eben auch gegen null gehen. Mein eigenes Engagement mache ich davon nicht abhängig», sagt Heins. Sie hat selbst auch schon die Erfahrung gemacht, dass guter Wille allein nicht genügt. Da gab es zum Beispiel die Lebkuchenmänner, die in der Breite einen Zentimeter zu klein geraten waren und deshalb nicht verwendet werden konnten. «Klar, da fühlt man sich etwas vor den Kopf gestoßen und das bremst den Enthusiasmus kurz aus», gesteht Heins. Was sie sich nicht zutraut, sei jede Form von waldorfpädagogischer, inhaltlicher Arbeit, sagt sie. Sie erinnert noch, wie sie bei einem Adventsgärtlein in der Pause zwischen zwei Klassen mal die Kerzen gerichtet hat und dabei nichtsahnend über die Spirale gestiegen ist. «Es steckt überall so viel dahinter – meine Kenntnis und mein Verständnis reichen da aber nicht aus», meint Heins, die auch in ihrem Engagement Grenzen kennt. Sie würde gern an allem Möglichen werkeln und basteln, die klassischen Handarbeiten wie Häkeln, Nähen, Stricken seien aber nicht ihr Ding. Deshalb lässt sie da im wahrsten Sinn des Wortes die Finger davon. Einen empfindlichen Nerv trifft man bei ihr, wenn es heißt: «Das haben wir schon immer so gemacht. Das ist bei Waldorfs so.» «Warum nicht auch mal eine Karaoke-Bar oder einen Crêpes-Stand in ein Fest integrieren», fragt Heins ganz freimütig.

Insgeheim wundert sie sich manchmal darüber, wie stark sie inzwischen mit der Schule ihres Sohnes verbunden ist. Heins selbst hat als Mädchen eine katholische Grundschule im Rheinland besucht und hatte keine Ahnung von der Waldorfpädagogik, bis sie ihren Mann kennenlernte. «Zunächst mal hat das allem widersprochen, was ich bis dato an pädagogischen Inhalten aufgenommen hatte, aber heute habe ich mich total damit identifiziert. Das finde ich selbst faszinierend», sagt sie. Im Moment bereitet sie sich auf die Klassenfahrt mit Emils Klasse vor. Heins begleitet die Lehrkraft als unterstützende Betreuungsperson. «Emil muss sich noch an den Gedanken gewöhnen, ich freue mich schon drauf», lächelt Heins.

Kommentare

Es sind noch keine Kommentare vorhanden.

Kommentar hinzufügen

0 / 2000

Vielen Dank für Ihren Kommentar. Dieser wird nach Prüfung durch die Administrator:innen freigeschaltet.