Der Plan sei »sicher löblich«, meint Osel, denn tatsächlich habe das Sitzenbleiben »oft böse Folgen«, aber man solle »mit Augenmaß vorgehen und es zunächst bei einigen Modellprojekten belassen«, erst einmal »ausprobieren, ob eine Schule ohne Sitzenbleiben wirklich die bessere Wahl wäre«. Warum? Weil sich gezeigt habe, dass »neue Schularten keine neuen Schüler bringen«. Außerdem dürfe »Schule kein kuschelpädagogisches Refugium sein« (Stöhn).
Begründung: »Weil Kinder eben Kinder sind, (mit) Albernheiten und Flausen, Widerborstigkeit, Bequemlichkeit oder Null-Bock-Phasen.« Ihnen diese Unarten auszutreiben, damit sie zu »mündigen Bürgern« werden, sei die Berufung des Lehrers. Da könne es dem einen oder anderen Kind nicht schaden zu wissen: Es gibt »die Gefahr des Scheiterns – als Motivation, genau diese zu vermeiden.«
Stellen wir kurz ein paar Dinge klar.
• Schule ohne Sitzenbleiben ist längst erfolgreich erprobt, seit bald 100 Jahren machen es die Waldorfschulen vor, andere freie Schulen auch, man muss das Rad nicht neu erfinden.
• Ob diese Schularten »bessere Schüler bringen«, hängt davon ab, was man unter »besser« versteht. Leistungsstärker? Angepasster? Oder doch eher gesünder, selbstbewusster, hoffnungsvoller?
• Die rhetorische Keule »Kuschelpädagogik« war nie besonders originell, aber heute ist sie wirklich nur noch Bullshit. Der Leistungsdruck auf Kinder nimmt immer mehr zu. Bereits jeder dritte Schüler leidet unter Zeichen von Überforderung und Erschöpfung. Schulen als Orte der sozialen Wärme? Fehlanzeige. Kinder brauchen Geborgenheit. Zu mündigen Bürgern werden sie ganz von selbst, wenn wir ihnen Bindungssicherheit bieten, auch in der Schule. Und wenn sie dort Gelegenheit finden, sich in den Umgang mit Freiheit einzuüben.
• Das Scheitern gehört dazu, keine Frage. Es sollte aber nicht als beängstigend oder demütigend erlebt werden. Denn das ruiniert die Motivation, sich Herausforderungen zu stellen.
• Albernheiten, Widerborstigkeiten etc. kann man nun wirklich nicht durch Sitzenbleiben bekämpfen. Außerdem: Wer hat gesagt, brave Kinder hätten bessere Zukunftschancen? Es gibt Untersuchungen, die das Gegenteil belegen.
Zuletzt verweist Osel lobend auf Finnland und mahnt, auch bei uns müsse sich das ganze System dahingehend ändern, »dass Lehrer nicht in erster Linie Fächer unterrichten, sondern Menschen.« Hier sind wir uns einig. Und Menschen lässt man in der Not nicht sitzen.