Monopoly ist kein Schicksal

Roy Marioth

Wohin führt dieses Monopoly, das wir Volkswirtschaft nennen? Ist nicht das Zwischenmenschliche der eigentliche Sinn der Arbeit? Was bedeutet das bedingungslose Grundeinkommen und ist die Existenz eines Menschen nicht schon ein Grund für ein Einkommen? Ist Gewinn sinnvoll und wie viel Globalisierung verträgt der Mensch? Diese und andere Fragen diskutierten wir an fünf Tagen mit 45 Referenten in 67 Kursen: Das hatte schon Campus-Charakter. Hinzu kam, dass die ganze Schule so voller Menschen war, wie ein Audimax zur Erstsemestervorlesung. Denn wir hatten kräftig eingeladen: Zu den hundertvierzig Ismaninger Oberstufenschülern gesellten sich rund achthundert Gastschüler aus acht bayerischen Waldorfschulen sowie die Hauptschule und die Realschule aus Ismaning. 

Abends gab es zudem Workshops und Vorträge für Erwachsene und auch diese wurden von vielen Schülern zusätzlich besucht. Schließlich wurde eine ganze Reihe an Prominenz aufgeboten wie der Unternehmer Götz Werner, die Sozialforscher Christoph Strawe und Sascha Liebermann sowie die Publizisten Gerald Häfner und Geseko von Lüpke. Mit jedem Workshop, mit jedem Vortrag und jeder Diskussionsrunde wurde klarer, dass eine Frage im Zentrum steht: Wie wollen wir leben? Eine kleine Redaktion von sechs Schülern und einem Schülervater dokumentierte das Geschehen und schrieb Berichte über die einzelnen Veranstaltungen; einige andere Schüler stellten unter Anleitung eines professionellen Fotografen die Bildredaktion. Veränderung beginnt im Kopf.

Das zeigt anschaulich die sehr persönliche Betrachtung von Line Polifke (10. Klasse): »In dieser Woche erlebte man viele Menschen von ihrer anderen Seite. Sonst desinteressierteste Schüler diskutierten in den Workshops oder hörten interessiert zu. Es entwickelte sich eine große Gemeinschaft, vor allem an den zwei Tagen, an denen wir rund siebenhundert Menschen waren. Nach den Workshops saßen wir alle im riesigen Essenszelt vor Kaffee und Kuchen und tauschten uns aus.«

Ein T-Shirt reist um die Welt

Natürlich kann man heute nicht mehr von Wirtschaft reden, ohne über die Globalisierung zu sprechen. Doch was die Welt so modern vereint, hat auch seine Schattenseiten. Ein Beispiel dazu hat Laura May (12. Klasse) notiert: »Das Hemd, das ich trage, ist nur ein Stück Stoff. Dass es schon in mehr Ländern der Erde war als ich, war mir bislang nicht bewusst. Vom Anbauen der Baumwolle in Nicaragua, über die Türkei, Taiwan, El Salvador nach Deutschland geht die Reise. Schließlich landet es über die Kleidersammlung in Afrika. Das T-Shirt hatte, allein bis es in Deutschland das erste Mal verkauft wurde, schon 49.000 Kilometer zurückgelegt. So kaufen wir also unser T-Shirt, das davor die Welt umrundet hat, in München für zehn oder 20 Euro – das ist eigentlich unglaublich!«

Lernen am realen Beispiel ist immer wieder verblüffend. Warum bekommt eigentlich die Näherin in der Fabrik nur 40 Cent für den Sportschuh, der hier im Laden 80 Euro kostet? Wie ist das möglich? Sind die Milliarden­gewinne der Konzerne unter diesem Blickwinkel noch zu rechtfertigen oder etwa unmoralisch?

Ein Mann kauft den Mond

Doch schließlich geht es ums Geld und damit kann man sogar den Mond kaufen, wie Felix Klossek (11. Klasse) herausgefunden hat: »Traurig, aber wahr, der Mann im Mond wurde kalt enteignet. Der neue Besitzer des Erdtrabanten ist Dennis Hope, ein einfacher amerikanischer Bürger. Der hatte den Homestead Act entdeckt, ein Gesetz aus den Zeiten des wilden Westens. Danach gehört einem ein Grundstück, wenn man seinen Anspruch acht Jahre lang öffentlich gemacht hat und niemand widerspricht. Hopes Anspruch hatte niemand ernst genommen, es schien zu verrückt, dass jemand den Mond in Besitz nehmen konnte. Seitdem verkauft Hope den Mond parzellenweise und verdient ein Vermögen damit.«

Doch es gibt auch Geschichten, die Hoffnung machen. Ein paar Europäer hatten Geld gesammelt und in Indien eine Plantage für Bio-Baumwolle gegründet. Das Dorf in der Nähe hat jetzt Vollbeschäftigung und sogar eine Schule. Die Arbeiter werden fair entlohnt – Ausbeutung und Unterdrückung gibt es nicht mehr. Ulrich Rösch vom Goetheanum in Dornach, der uns dieses Beispiel näher brachte, erklärte dazu im Interview: »Das Projekt in Indien funktioniert deshalb, weil hier in Europa bewusste Konsumenten sich mit der Arbeit der Bauern in Indien verbinden. Wir nennen das Assoziation. Der Konsument übernimmt Mitverantwortung für die Art, wie produziert wird.«

Der Mensch als Maß allen Handelns

Und darum ging es bei unserer Arbeit immer wieder: Was können wir dazu beitragen, Ausbeutung und Umweltzerstörung zu reduzieren? Wie können wir dieser Verantwortung wenigstens teilweise gerecht werden und wie muss die Wirtschaft der Zukunft beschaffen sein? Wir können nicht wirklich in die Zukunft schauen, doch wir können uns Gedanken machen, Entwicklungen beobachten, analysieren und antizipieren. Wir können uns bemühen zu erkennen, welche propagierten Werte bewahrend und welche zerstörerisch sind. Denn wir stehen an einer Zeitenwende, meint Geseko von Lüpke: »Wir brauchen gleichzeitig eine Bewegung, die Zerstörung verhindert oder abbremst, also die Umweltbewegung, und wir brauchen Leute, die sich darüber Gedanken machen, wie wir in Zukunft leben wollen, also die psychologisch-philosophische Bewegung. Die wirken zusammen. Denn wir haben eine Erhaltungs- und eine Zerstörungsdynamik, aber wir können nicht erkennen: Wird mehr zerstört oder wird mehr neu geschaffen? Ich finde es spannend zu sehen: Wir sind gleichzeitig Sterbebegleiter eines alten Systems und die Geburtshelfer eines neuen.«

Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Rechtsleben und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben – die von Steiner propagierte »soziale Dreigliederung« verlangt geradezu, Wirtschaft »anders zu denken«. Denn Krisen, Pleiten und Zusammenbrüche sind letztlich immer auf Verstöße gegen diese Ziele zurückzuführen. Dazu ist ein Umsteuern, ein »Anders denken« nötig, denn der Mensch sollte im Mittelpunkt allen Handelns stehen. Vielleicht kann die Idee einer solchen »Wirtschaftswoche« ja weiter getragen werden – Schüler, Eltern und Lehrer können zusammen viel dabei lernen.