Der Anstoß zum Engelberger Mittelstufenmodell ging von Oberstufenlehrern aus, die mit den pädagogischen Leistungen von Klassenlehrern – insbesondere in den Klassen 7 und 8 – oftmals unzufrieden waren.
Sie führten die von ihnen wahrgenommenen Mängel teilweise auf zu geringe naturwissenschaftliche Bildung der Klassenlehrer zurück. Durch Lehrer, die sich speziell auf die pädagogischen Anforderungen in den Klassen 7 bis 9 vorbereiteten, sollten die pädagogische Situation für die Schüler der Mittelstufe verbessert und die Klassenlehrer ebenso wie die Oberstufenlehrer entlastet werden. Die Mittelstufenlehrer haben jeweils ein Schwerpunktfach, das sie nicht nur in der eigenen Klasse, sondern auch in denen ihrer Kollegen unterrichten. 1995 begann man mit der Umsetzung, 2002 wurden die Erfahrungen in zwei Konferenzen ausgetauscht. Es gab gegensätzliche Stellungnahmen. Die Mittelstufenkollegen erlebten die 9. Klassen als Bereicherung der Mittelstufe, deren Abschluss sie nun bilden. Die Oberstufenkollegen bedauerten, nicht mehr mit der 9. Klasse beginnen zu können, da Neuntklässler noch beweglicher seien, sich auf den Oberstufenstil einzulassen. Die verkürzte Oberstufe sei nun stärker auf Prüfungen ausgerichtet, die Entwicklungsarbeit für die Schüler trete in den Hintergrund.
Während Mittelstufenlehrer betonten, die Schüler entwickelten in der Mittelstufe soliden Lerneifer und eine erfreuliche Selbstständigkeit, bemerkten Oberstufenlehrer einen Mangel an Selbstständigkeit im Denken. Als die Schüler noch mit der 9. Klasse ihre Oberstufenzeit begannen, war der unaufhaltsame Aufbruch des selbstständigen Urteilens bei Schülern mit Eintritt in ihr drittes Lebensjahrsiebt unübersehbar. Ich erlebte das Ausbleiben dieses Aufbruchs wie einen Quantensprung. Schüler überraschten mich mit dem Ansinnen, sich brav lernend einfach mein Urteil aneignen zu wollen. Dass der Drang zum selbstständigen Urteilen schwindet, wirft Fragen auf. Der Entwicklungszeitraum, der gemäß der anthroposophischen Menschenkunde dafür prädestiniert ist, die Grundlagen für selbstständiges Urteilen zu schaffen, ist das zweite Lebensjahrsiebt, das die achtjährige Klassenlehrerzeit umfasst, und zwar mit gewichtigen Bildungsvorgaben für die Schüler zur Urteilsfindung, zum künstlerischen Üben und zum Miterleben eines sie tragenden Sozialraumes.
Wenn nach der 6. Klasse ein Klassenlehrerwechsel eintritt, dann ist das ein gravierender Einschnitt in ein hoch sensibles soziales Gefüge. Die Schüler kommen in eine empfindliche seelische Umbruchphase, in der sie der schützenden seelischen Hülle der Lehrerpersönlichkeit bedürfen, die sie kennt. Die wird ihnen genommen. Der Lehrerwechsel in den Hauptunterrichtsepochen stellt einen weiteren verunsichernden Faktor dar. Außerdem leidet das intensive, tägliche künstlerische Üben unter der Mittelstufenstruktur.
Auch stellt sich die Frage, wie ein und derselbe Kollege die Epochen meistern kann, die in der 8. Klasse – bei praktisch gleichem Epocheninhalt – eher bildhaft und in der 9. dann mehr wissenschaftlich, also intellektueller und abstrakter zu unterrichten sind. Oder wird der Unterrichtsstil der 9. Klasse vermehrt in den unteren Klassen angewendet, was wiederum nachteilige Folgen für die seelische Entwicklung der Schüler hat?
In der Diskussion um die Klassenlehrerzeit wurde angeführt, dass es die siebenjährigen Entwicklungsrhythmen von Natur aus nicht gibt. Rudolf Steiner hingegen macht im sogenannten Augsburger Vortrag vom 14. März 1913 (GA 150) Ausführungen zu der weitreichenden Bedeutung der siebenjährigen Perioden für die fortschreitende Entwicklung des Menschen. In einem Gespräch charakterisierte Wolfgang Schad das Stabilisieren der siebenjährigen Entwicklungsperioden als heilsam für die gesamte menschliche Entwicklung.
Speziell auch im Hinblick auf die beschleunigte körperliche und verzögerte seelische Entwicklung in der Pubertät weist Friederun C. Karsch im »Lehrerrundbrief 25« auf das gesundende Element gestärkter Jahrsiebtperioden hin.
Zum Autor: Dr. Heinrich Kruckelmann war 33 Jahre an der Freien Waldorfschule Engelberg Oberstufenlehrer für Biologie, Chemie und Geographie.
Literatur: P. Loebell: Klassenlehrer – acht Jahre lang?, in: Erziehungskunst, April 2002