Ostermarsch

Henning Köhler ✝︎

Vor gefühlt tausend Jahren lautete ein Slogan der Jugend: »Frieden schaffen ohne Waffen!« Wen interessiert das noch? Der Soziologe Manuel Arias Maldonado brachte es kürzlich auf den Punkt: »Hören Sie doch auf mit der Revolution, die Leute wollen ihr iPhone.« Globale Entmilitarisierung wäre eine historisch beispiellose kulturelle Revolution gewesen. Daran glaubten wir als junge Menschen. Nun schreitet eine andere Revolution unaufhaltsam fort: die digitale. Immense Umweltschäden resultieren daraus. Zugleich wird aufgerüstet, was das Zeug hält. Und überall wuchert Hass.

Am 21. April 2019 gab Stephan Hebel in einem Kommentar der Frankfurter Rundschau seiner Hoffnung Ausdruck, dass die ökologisch ausgerichtete Fridays-for-Future-Bewegung mit der Friedensbewegung zusammenfinden möge, um »gemeinsam die herrschende Politik aus der gewohnten Bahn zu werfen«. Das für Rüstung ausgegebene Geld werde dringend benötigt, um den Klimawandel zu stoppen. Insofern hätten die jungen Umweltaktivisten und die (größtenteils schon ergrauten) Ostermarschierer ein gemeinsames Anliegen. Kämpfer für Umweltschutz, Frieden und soziale Gerechtigkeit, so Hebel, sollten sich verbünden. Alsbald kam die Corona-Krise und verdrängte alle anderen brennenden Themen.

Am 22. Januar 2021 trat der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) der Vereinten Nationen in Kraft.[1] 52 Staaten haben die Vereinbarung bislang unterzeichnet. Deutschland gehört nicht dazu. Der AVV verbietet die Entwicklung, Produktion, Testung, Lagerung, Stationierung, den Transport und natürlich den Einsatz von Nuklearwaffen.[2] Maßgeblich beteiligt am Zustandekommen des Vertrags war die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). Mit von der Partie sind die Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), Greenpeace und weitere Nichtregierungsorganisationen.[3] Am 13. Januar 2021 forderten 22 Bundestagsabgeordnete der Grünen die deutsche Regierung in einem Eilantrag auf, dem AVV beizutreten.[4]

Vergebens. Der Regierungssprecher ließ wissen, die NATO als Verteidigungsbündnis sei zwecks glaubhafter Abschreckung auf Atomwaffen angewiesen. (Dass längst eine NATO-Erstschlags-Option festgeschrieben wurde, verschwieg er tunlichst.)

Waldorfschulen sollten sich aus der Parteipolitik heraushalten, das stimmt. Aber nicht aus zentralen ethischen, humanitären Fragen. Und dazu gehört ja wohl die Freiheits- und Friedensfrage. Wenn der Bund der Freien Waldorfschulen nächstes Jahr zur Teilnahme an den Ostermärschen aufrufen würde, wären mit Sicherheit viele Schülerinnen und Schüler aus den Oberstufen begeistert dabei. Eltern und Lehrer hoffentlich auch.


[1]   https://www.un.org./Depts/german/conf./a-conf-229-17-8.pdf

[2]   Nicht zu verwechseln mit dem Atomwaffensperrvertrag, durch den sich die Großmächte ein nukleares Privileg sicherten.

[3]   86% der deutschen Bevölkerung sind gegen Atomwaffen. Aktivitäten, Initiativen: https://nuclearban.de

[4]   https://dip.21.bundestag.de/dip21/btd/19/258/1925811.pdf