Erziehungskunst | Herr Knödler, Sie sind nach mehreren anderen Berufstätigkeiten Waldorflehrer geworden. Warum?
Sascha Knödler | Mein Beruf passte immer weniger zu meiner persönlichen Entwicklung. Irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, dass sich die Arbeit in der Werbe- und Medienwelt nicht mehr mit meinen Werten vereinbaren ließ. Ich suchte nach einer neuen, sinnstiftenden Berufs- und Lebensaufgabe.
EK | Wurde Ihr Idealismus durch die Ausbildung zum
Waldorflehrer bestärkt?
SK | Unbedingt. Was mir besonders gefiel, waren die persönlichkeitsbildenden künstlerischen Ausbildungsteile und die Art, wie unterrichtet wurde. Vieles war neu für mich, und alles ging leicht und spielerisch. Das Studium machte mir sehr viel Freude.
EK | Dann begann Ihre Tätigkeit an einer Waldorfschule.
Fühlten Sie sich als neuer Lehrer gut eingeführt und begleitet?
SK | Ja, ich wurde sehr gut betreut und mentoriert. Eigentlich gab es keinen großen Praxisschock. Allerdings bedaure ich sehr, dass der Mentor unserer Klasse aus gesundheitlichen Gründen seit Anfang des Jahres nicht mehr mentorieren konnte.
EK | Sie haben jetzt die Selbstverwaltungspraxis einer Waldorfschule kennengelernt. Was erleben Sie als kraftraubende, was als aufbauende Bereiche des Schullebens?
SK | Der Unterricht mit den Kindern, die Zusammenarbeit mit den Eltern und die Unterstützung durch das Kollegium, das sind meist die aufbauenden Begegnungen. Was zehrt, sind die vielen zusätzlichen Einsätze im Schulalltag wie die Selbstverwaltung, die Krankheitsvertretungen, lange Konferenzen, Elterngespräche, Schulveranstaltungen … das kostet viel Energie und geht oft auf Kosten von Sozialleben und -kontakten außerhalb des Schullebens.
EK | Sie haben eine gutbezahlte Stellung aufgegeben und verdienen jetzt deutlich weniger. Bis zu welchem Punkt kann eine sinnerfüllte Arbeit Einschränkungen in finanzieller Hinsicht kompensieren?
SK | Ja, wenn man das Gefühl bekommt, dass die »Energiebilanz« nicht mehr stimmt, kann das auf Dauer frustrierend werden. Man muss aufpassen, dass man nicht das Gefühl hat, vom »System« ausgebeutet zu werden. Ich denke, dass in puncto Einkommen bald etwas geschehen muss, damit der Waldorflehrerberuf attraktiver wird. Auch die Altersabsicherung darf sich nicht länger auf Sozialhilfe-Niveau bewegen. Der Verdienst sollte zwar nicht ausschlaggebend sein, den Beruf des Waldorflehrers zu ergreifen. Er sollte aber auch nicht ausschlaggebend sein, den Beruf des Waldorflehrers nicht zu ergreifen!
EK | Sehen Sie für die Zukunft der Waldorfschule Gefahren?
SK | Der Mangel an Lehrern ist jetzt schon an vielen Schulen spürbar. Und der Generationswechsel hat gerade erst begonnen. Wir müssen darauf achten, dass die Qualität aufgrund des Lehrermangels nicht leidet. Das fängt schon bei der Ausbildungsfrage an. Die Abbrecherquoten bei den Studenten und jungen Lehrern sind zu hoch. Werden zu viele Lehrer ohne Waldorfausbildung eingestellt, hat das Qualitätsverlust im Unterricht mit einer schleichenden substanziellen Erosion zur Folge. Auch wenn im Moment der Run auf die Waldorfschule ungebrochen ist, werden die Eltern ihre Kinder von der Schule nehmen, wenn sie merken, dass zwar Waldorf draufsteht, aber nicht mehr drin ist.
EK | Das Waldorf-Motto »Erziehung zur Freiheit« bezieht sich ja nicht nur auf die Schüler, sondern auch auf die Lehrer und Eltern. In welchen Bereichen sehen Sie Entwicklungsperspektiven?
SK | Ich denke, dass Schüler, Eltern und Lehrer viel offener zusammenarbeiten müssen. Schule im alten Sinne hat ausgedient. Wir sind freie Schulen und nutzen diese Freiheit viel zu wenig bis in die Unterrichtsformen hinein. Jegliche belehrende Umgangsform, ob gegenüber Schülern, Eltern oder unter Kollegen, muss verschwinden. Keiner muss den anderen missionieren. Das System Waldorfschule wird von Lehrern und Eltern getragen. Wenn die sozialen, finanziellen und Arbeitsbedingungen nicht mehr stimmen, ist jede Waldorfschule massiv gefährdet, weil sich die Menschen zurückziehen, anstatt sich einzubringen. Die DNA der Waldorfschule ist die Freiheitsluft, die hier herrschen soll, und die Lust, sich mit ihr zu verbinden.
Das Gespräch führte Mathias Maurer.