Ratlos
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat eine Studie veröffentlicht, in der Eltern- und Erziehungsratgeber und die dahinterstehenden Erziehungsstile seit 1945 untersucht werden.* Verfolgt man deren Verlaufskurve, wechseln sich autoritäre und liberale in schöner Regelmäßigkeit etwa alle zehn Jahre ab und könnten so auch als ein intergenerationelles Wechselbad der Beziehungen zwischen Großeltern, Eltern, Kindern und Enkelkindern gelesen werden, wobei die Feststellung überrascht, dass sich bestimmte Erziehungsstile über Generationen hartnäckig halten.
Ein interessantes Aperçu der Untersuchung ist, das die unterschiedlichen, nach wie vor parallel bestehenden Erziehungsstile wie ein Spiegelbild der aktuellen politischen Lagerbildung wiedergibt: Der nationalsozialistische Elternratgeber von Johanna Haarer Die Mutter und ihr erstes Kind, erstmals 1934 und seither in einer Millionenauflage erschienen, erlebte seine letzte Auflage 1987 (!); konkurrierend dazu Alexander Neills Kultbuch der antiautoritären Erziehung Summerhill, Erstausgabe 1969, ebenfalls seither in Millionenhöhe, zuletzt 1995.
Dennoch erfreulich: Die Gesamttendenz ist, dass wir in Richtung demokratisch-partnerschaftliche Erziehungskonzepte laufen, die die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt stellen. Das frustrierende Ergebnis aber: Die Erziehungsunsicherheit der Eltern war dabei noch nie so groß wie heute. Die bedenkenswerte Begründung: Die Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Ratgeberliteratur, die zunehmenden Leistungs- und Qualitätsanforderungen an Familie und Erziehungskompetenz, die Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Ansprüchen der »Systeme« Familie und Arbeitswelt führen zu einer schleichenden Überforderung der Eltern – und der Kinder. Das Ganze ginge überwiegend immer noch zu Lasten der Mütter, weil ihre Bindungsbereitschaft und Zugewandtheit mit den heutigen Erziehungskonzepten von Gleichberechtigung, Autonomie und Loslassen sich nicht ohne Weiteres harmonisch zusammenfügten.
Ob eine Synthese von konservativen (zum Beispiel Leistungsmotivation) und modernen Werten (zum Beispiel soziale Kompetenz) tatsächlich eintritt, wie die Studie behauptet, kann bezweifelt werden, da sich hinter unterschiedlichen Erziehungsstilen unterschiedliche Menschenbilder verbergen, die im Alltag für kollisionsträchtige Dramen sorgen können. Eine gute Eltern-Kind-Beziehung lässt sich eben nicht durch zwischenmenschliche Effizienz herstellen, sondern zeichnet sich durch eine liebevolle, oft wiederholende, langsam fortschreitende Prozesshaftigkeit aus. Diesen Widerspruch kann keiner der 10.000 Ratgeber auflösen und die Eltern bleiben in der Lebenswirklichkeit ratlos zurück.
Steht in den Erziehungsratgebern die Art der Beziehungsgestaltung – ob autoritär, autoritativ, laissez faire, demokratisch – zwischen Eltern und Kindern im Vordergrund, plädiere ich dafür, wirkliche Elternratgeber zu machen, die den Eltern »Pflegetipps« für ein erfülltes Beziehungsleben – neben, also auch unabhängig von den Kindern – geben. Denn ihre Beziehung ist Ausgangspunkt und Grundlage aller Erziehung.