Inga Rosenkranz | Frau Obert – Kinder und Garten gehören zusammen. Was braucht es, damit Kinder gedeihen können?
Brigitte Obert | Für mich bedeutet es, ständig daran zu sein, eine gute Verbindung zu den Kindern aufzubauen, andererseits aber über eine gute Standhaftigkeit zu verfügen und schließlich mit Freude jeden Tag in den Kindergarten zu gehen.
IR | Warum sind Sie Waldorfkindergärtnerin geworden?
BO | Weil ich in der Waldorfpädagogik etwas fand, was meinem tiefen Bedürfnis entsprach: mit Kindern, mit Menschen zusammen zu sein und diese mit Verständnis und Freude zu begleiten; ihnen Weggefährte zu sein; sie bei ihren Entwicklungsschritten zu erziehen – also nicht nur zu begleiten, wie man es beim kleinen Kind macht, sondern ihnen Richtung und Weisung geben zu können. Schon als junger Mensch fand ich in der Waldorfpädagogik viele Punkte, mit denen ich gut übereinstimmen konnte.
IR | Welche Schlagworte fallen Ihnen spontan für die drei Jahrzehnte Ihrer Tätigkeit ein?
BO | Beständigkeit, Kontinuität, Dankbarkeit. Eine große Dankbarkeit, die Kinder in Empfang nehmen zu dürfen, deren Eltern schon als Kinder in meiner Gruppe waren.
IR | Ihre Schatzkiste an Reimen, Geschichten und Liedern hat sich in den Jahren gut gefüllt. Was steht heute auf der »Hitliste« der Kinder, was gerät in Vergessenheit?
BO | Wir schauen natürlich mehr auf die Dinge, die die Kinder heute umgeben. Das hat sich sicherlich im Lauf der Zeit geändert. Aber es sind noch immer die rhythmischen Sachen, die großen Spiele, das, was in der Natur, im Jahreslauf lebt, was Bestand hat. Ein Lieblingslied ist nach wie vor »Rinke, ranke, Rosenschein, liebe Sonne komm herein. Öffne unsre Fensterlein, öffne unsre Herzen …«.
IR | Verraten Sie uns Ihr liebstes Ritual?
BO | Ich liebe die rhythmischen Verse und Reigen, das, was sich täglich wiederholt. Ganz besonders liebe ich das Weihnachtsspiel, da ich die Weihnachts-Dreikönigszeit besonders mag. Ansonsten sind es die Verse, die durch ihr Versmaß Kindern ermöglichen, gut in sie »hineinzuschlüpfen«. Ich spüre, dass diese Dinge, die so ganz klar und deutlich sind wie »Tross, tross, trill, der Bauer hat ein Füll …«, den Kindern besonders gut tun.
IR | Gibt es etwas, das Sie leid sind zu singen, zu basteln, zu rezitieren, zu spielen?
BO | Nein, weil es mit jedem Kind, mit jeder Gruppe anders ist.
IR | Inwieweit können, sollen, müssen sich die Eltern einbringen, damit ein Waldorfkindergarten funktioniert?
BO | Wichtig ist die ganze äußere Arbeit, damit das Haus, der Garten gepflegt werden. Aber viel wichtiger finde ich die Elternarbeit in Bezug auf das Kind; dass man immer wieder in die Kooperation, ins Gespräch kommt und dass man auf den Elternabenden an pädagogischen Themen arbeitet.
Gelingt eine gute Zusammenarbeit, dann funktioniert die Arbeit drum herum auch gut.
IR | Welche Veränderungen haben Sie an den Kindern in den letzten dreißig Jahren bemerkt?
BO | Eine große Veränderung, die ich erlebe, ist, dass die Kinder es heute schwerer haben, in die Eigensteuerung zu kommen, in das eigene Spiel. Sie brauchen dabei viel häufiger Hilfe. Die Phantasiekräfte gehen zurück. Die Kinder sind viel mehr umweltlastig, viel mehr Einflüssen ausgesetzt. Und trotzdem finde ich, dass die Kinder in unserem Kindergarten – wenn auch manchmal über einen Spielimpuls – doch sehr gute Spielkinder sind.
Auffällig sind auch die zunehmenden Sprachstörungen. Sprachschwierigkeiten geben Grund, genauer hinzugucken und zu hinterfragen:
Wo sind meine Kinder zu vielen Umwelteinflüssen ausgesetzt? Wo rede ich wirklich noch mit meinen Kindern? Wo findet noch ein Gespräch statt und wo ist es nur ein Abfragen von: »Ist die Mütze aufgeräumt? Hast Du Deine Schuhe ausgezogen?« Wo unterhält man sich noch mit dem Kind? Wo höre ich wirklich hin?
IR | Die vier Gruppenleiterinnen lenken gemeinsam mit dem Elternvorstand die Geschicke des Kindergartens. Wie hat sich Ihre Arbeit diesbezüglich geändert?
BO | Wir brauchen viel mehr Zeit, um zu dokumentieren und Organisatorisches zu bewältigen. Beispielsweise haben wir die Entwicklungsbeobachtungen der Kinder festzuhalten, unsere Kindergartenkonzeption und -ordnungen jährlich zu überprüfen und das Thema Qualitätssicherung will auch bedacht sein.
Es freut mich, dass wir einen Vorstand haben, der sich dessen bewusst ist und uns Arbeitszeit dafür einräumt. Es wird viel Kraft dafür gebraucht, die manchmal dem Wesentlichen abgeht, nämlich der Arbeit mit dem Kind.
IR | Was ist Ihr Rezept für einen erfüllten und zufriedenstellenden Arbeitstag?
BO | Den nächsten Tag abends gut vorzubereiten. An die Kinder zu denken, zu überlegen, was morgen ansteht. Alles in aller Ruhe zu bedenken, das ist das beste Rezept für einen guten Tag. So vorbereitet, kann man gelassen schauen, was kommt.
IR | Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Waldorfkindergartens in Offenburg?
BO | Dass weiterhin so viele tolle Kinder und Eltern zu uns kommen wie bisher. Dass in unserem großen Garten alle Kinder aus allen Gruppen gut und fröhlich miteinander spielen. Und weiterhin Eltern, die mitarbeiten und uns unterstützen, denn sonst geht es einfach nicht. Ein intakter Vorstand, eine intakte Elternschaft, das ist mein Wunsch für die kommenden Jahre.