Sachbuch

Unsensible Staatsmacht

Heinz Brodbeck

Es ist das Jahr, in dem Deutschland das Finale gegen Holland mit 2:1 gewinnt und zum zweiten Mal Fußballweltmeister wird. Metz referiert hier auf historische Ereignisse in Mannheim, als dort 1974 Hans-Jürgen Remiszko erschossen wurde. Gewalt und Kriminalität in Metz' Heimatstadt Mannheim steigen im Sommer 1974 an und Bandenkämpfe sind in den ärmeren Vierteln der Stadt, wie beispielsweise im Wohnquartier von Hannes, den Benz-Baracken, an der Tagesordnung. Seine Geburtstags­feier endet abrupt in einer von der Polizei provozierten Schlägerei. Durch eine fehlgeleitete Kugel aus einer Polizeipistole stirbt Hannes. Auf dem Klappentext des Buches ist zu lesen, dass sich im vorliegenden Fall die soziale Herkunft eines unschuldigen Menschen zu einem Präjudiz in der öffentlichen Meinung und im Hinblick auf ein Gerichtsurteil mit Polizei und Justiz negativ auswirkt. Inwieweit die Geschichte und die Ereignisse um Hannes akribisch genau den historischen Tatsachen entsprechen, sei dahingestellt.

Die Episoden sind spannend und plausibel beschrieben, Daten und Orte genau lokalisiert. Im Polizeipräsidium werden Aussagen getroffen wie «Manchmal denk' ich, so eine fehlgeleitete Kugel, die den richtigen trifft, wäre gar nicht verkehrt.» Oder: «Ihr habt das Ziel, die Kriminalitätsrate in Mannheim herunterzudrücken. Dafür braucht es dann auch mal eine ungewöhnliche Aktion». Diese Mentalität ist der katastrophale Nährboden für die Vorkommnisse im Roman. Und sie spiegelt sich schließlich auch in der Gerichtsverhandlung, wo der Polizeiapparat, selber provozierend, gegen die vermeintlichen Provokateure zusammenhält.

Die Architektur der Geschichte ist meist chronologisch, mit Rück- und Vorblenden, was beim Lesen viel Aufmerksamkeit fordert. Metz zeichnet seine Figuren derb und eindrücklich. Sie parlieren im deftigen Straßenslang. Das macht die Akteure authentisch.

Metz präsentiert das Drama in 49 dichten Kapiteln, mit prägnanten Sätzen in einer schörkellosen, direkten Sprache. Die Thematik sozialer Schichten, ihre Lebensweise im Verhältnis zu einer unsensiblen, herausgeforderten Staatsmacht ist zeitlos. Ein lesenswertes Buch, das der Elterngeneration wie älteren Jugendlichen einen guten Diskussionsstoff bieten kann.

Peter Metz: Kaliszko. Mannheim, Sommer 1974. 245 Seiten, 14.90 Euro, Edition H. Schroeder e.K., Wildflecken 2021.

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