Zwei Herausforderungen für die Pädagogik

Christiane Drechsler

Im Mittelpunkt steht dabei die Schule, wobei die Autoren sich ihrer Aufgabenstellung aus unterschiedlichsten Perspektiven nähern: Einige stellen die Biographien bekannter oder weniger bekannter Reformpädagogen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen, andere wählen eine forschungsmethodische respektive erziehungswissenschaftliche Perspektive (Müller, Nieke). Ein Beitrag aus Elternperspektive (Thoms) nähert sich dem Sujet aus der konkreten Erfahrung mit der Arbeit einer sowohl reformpädagogisch als auch inklusiv arbeitenden Schule. Barth und Gloystein wählen einen methodischen Bezug. Das Konzept der Waldorfschulen wird methodisch aufgrund seines einzigartigen anthropologischen Hintergrunds nicht als Teil der Reformpädagogik betrachtet, aus historisch-erziehungswissenschaftlicher Perspektive jedoch durchaus. Die Aufzählung der Autoren ist nicht vollständig, vielleicht gelingt es aber, bereits mit diesem Ausschnitt die Vielfalt der Perspektiven zu zeigen, die dieses Buch so interessant machen.

Sowohl Reformpädagogik als auch Inklusion werden weder in Konzeption noch Rezeption der praktischen Umsetzung ungebrochen positiv, sondern durchaus kritisch gesehen. Wilhelm nimmt kurz Bezug auf den Missbrauchsskandal, der die reformpädagogische Bewegung erschüttert hat: »Obwohl die Reformpädagogik seit 1990 durch die kritische historische Aufarbeitung im wissenschaftlichen Diskurs viel von ihrem Nimbus verloren hat, hat sie immer noch einen fixen Platz in der praktischen Gestaltung von Unterricht für heterogene Lerngruppen.« Auf die Ergebnisse dieser historisch-kritischen Aufarbeitung gehen allerdings weder sie noch die anderen Autoren weiter ein – ein solcher Blick hätte das Spektrum noch erweitern können und auch sollen. Nieke verweist in seinem Beitrag auf den historisch-meritokratischen Charakter von Schule, der sich dringend wandeln muss, um der Vielfalt der Menschen in Zeiten der Inklusion Raum zu geben. Gerade in diesem Artikel wird deutlich, wie groß die Aufgabe ist, vor die sich ein inklusives System nicht nur schulisch gestellt sieht.

Der Blick auf die Waldorfpädagogik verweist für manche Leser vielleicht überraschend auf den grundlegend inklusiven Charakter dieses Schulkonzepts, der allerdings in der praktischen Umsetzung bereits nach wenigen Jahren verloren ging – nicht schicksalhaft, sondern aufgrund des Entschlusses der Ende der 1940er Jahre Verantwortlichen. Hier kann und soll seitens der Waldorfpädagogik ein neuer Zugriff erfolgen. Einen ersten Schritt leistet dieses Buch.

Das Buch zeigt deutlich: Inklusion und Reformpädagogik sind notwendige Impulse zur Entwicklung von Schule und Gesellschaft. Der Leser wird umfangreich informiert, aber nicht mit fertigen Konzepten versorgt, sondern mit Denkanstößen. Das macht es so wertvoll wie lesenswert.

Thomas Maschke (Hrsg.): Bildungsinnovation: Impulse aus Reformpädagogik und inklusiver Pädagogik, 288 S., EUR 30,–, Residenz Verlag, Salzburg 2019