Ein gelungenes »Format« waren die drei Thementage mit dem Basler Waldorfpädagogen Christian Breme.
Unsere bedürftigen Jugendlichen werden in der Zeit der Pubertät besonders heftig durcheinander gewirbelt und fühlen sich den körperlichen und seelischen Veränderungen oft hilflos ausgeliefert. Dies kann sich in atemberaubend schnellen Beziehungswechseln ausdrücken, indem in der großen Pause eine innige Freundschaft geschlossen wird, die dann schon am Nachmittag desselben Tages gefährlich ins Wanken gerät. Oft werden sie von ihrem Triebleben heftig attackiert und gebeutelt. Gleichzeitig erleben wir immer wieder, wie aufrichtig, offen, interessiert und einsichtig viele unserer Schüler auf Fragen des sozialen Miteinanders reagieren.
Wie können wir unseren Schülern helfen, dass sich in ihrer Seele etwas ordnet, dass sich neben der Lust des Triebes Gedanken und Gefühle der Ehrfurcht und Andacht für werdendes Leben einstellen?
Inspirierende, ja rettende Hilfe durften wir in unserem Haus von Christian Breme erfahren. Breme, seit vielen Jahren Lehrer an der Basler Rudolf-Steiner-Schule, setzt sich schon lange mit Fragen der Sexualkunde und möglichen methodischen Ansätzen auseinander. Auch wenn er, wie er sagte, noch nicht viele Berührungspunkte mit der Heilpädagogik hatte, stellte er sich der Herausforderung und stimmte zu, drei Vormittage zu je zweimal anderthalb Stunden unsere gesamte Werkstufe zu unterrichten.
Schon allein dies war ein Wagnis, da die Gruppe mit rund 25 Schülern dreimal so groß war, wie unsere regulären Klassen. Doch um es vorweg zu nehmen: Es funktionierte hervorragend, ja, es war sogar ein wesentlicher Baustein, diese drei Tage intensiv im Bewusstsein unserer Schüler zu verankern. Wäre es möglich – so fragte Breme im Vorbereitungsgespräch für diese Tage –, dass die Schüler etwas plastizieren könnten? – Er schickte uns fünf Zeichnungen von Eiern – ein Hühnerei, ein Pinguinei, ein Haifischei, ein Straußenei und eine Ansammlung von Heringseiern … Bremes Bitte kamen wir gerne nach und hatten bald eine Fülle unterschiedlichster Eier zur Auswahl.
Und so begann dann auch der erste Tag – die Zeichnungen der unterschiedlichen Eier hingen an der Wand und die von den Schülern plastizierten Exemplare lagen vorne auf dem Tisch. Mit Fragen und Antworten wurden wir zu einer Naturbetrachtung der Eier eingeladen – lernten, dass ihre unterschiedlichen Formen ganz praktischen Überlebens- zwecken dienen, erfuhren, dass das Heringweibchen bis zu 30.000 Eier in einer flachen Meeresbucht legt und die männlichen Heringe die Bucht durchschwimmen und mit ihrer »Milch« großzügig eintrüben. Wir staunten über die Größe des Straußeneis und dass die Straußenküken aus dem Ei herausgeholt werden müssen, da die Eierschale zu fest für sie ist. Natürlich haben alle diese Tiere unterschiedliche Nester – ob die Sandkuhle eines Vogel Strauß oder die Bauchfalte und Füße des Pinguins oder das Meer selber, wie beim Hering. Je nach Tierart und Lebensraum wurde deutlich, dass die Anzahl und Form der Eier damit in Verbindung stehen. Ja, bis in das Verhältnis von »Mutter« und Kind wurden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Entstehung tierischen Lebens gedanklich und anschaulich praktisch entwickelt.
Wenn Himmel und Erde sich vereinen
Aber wie ist es nun beim Menschen? Der entwickelt sich ja ebenfalls aus einem Ei heraus! – Staunen bei uns allen, auch wenn einige Schüler und sicherlich die betreuenden Erwachsenen dies eigentlich schon wussten. Dann nahm Breme ein Blatt Papier und eine Nadel, durchbohrte das Papier und sagte: »Und nun stellt euch vor, das menschliche Ei ist genau so groß, dass es noch gut durch dieses Loch hier schlüpfen kann« – »und es gibt jeden Monat nur ein Ei«! Jeder von uns fühlte das Besondere dieser Umstände. Und wie verwandt und natürlich sich die menschlichen Verhältnisse darleben, wurde an der Tatsache deutlich, dass selbstverständlich auch das menschliche Ei ein Nest hat, indem es sich in der Gebärmutter eben einnistet.
Breme erklärte an Hand eines aus Filz und Perlen schön gestalteten Modells einer Gebärmutter, wie die weiblichen Organe aufgebaut sind. Er führte uns hin zu Naturvölkern und deren noch natürlichen Rhythmen, verband diese über den weiblichen Zyklus wieder mit der Wirksamkeit des Mondes und stellte so immer mehr den Menschen und seine Herabkunft auf die Erde in den Mittelpunkt. Denn das, was sich da im Uterus einer Mutter entwickelt, ist nicht nur das Ergebnis von Mann und Frau, weiblicher Eizelle und männlichem Samen, sondern ein Zusammenwirken von Himmel und Erde. Die Schülerinnen und Schüler durften nun selber einen Uterus plastizieren und staunten, als Breme diesen nach vollbrachter Tat auf den Kopf drehte und nach vorne stülpte – denn auf einmal entstand aus dem Gebärmutterhals ein Penis und die Eierstöcke wurden zu Hoden. Wieder war ein Zusammenhang zwischen weiblichem und männlichem Organismus gefunden worden – und es war nur natürlich, dass zur physiologischen Entstehung eines Kindes das männliche und das weibliche Geschlechtsorgan zusammenfinden und im Geschlechtsakt sich vereinen müssen.
Am letzten Tag entwickelte Breme vor unseren Augen eine Abfolge von Zeichnungen, die das schrittweise Zusammenkommen von Seelisch-Geistigem und Physisch-Leiblichem noch einmal anschaulich erlebbar machte. Und dies war wieder etwas ganz Besonderes: Dass wir in diesem Unterricht nicht nur sehr genau die physiologischen Verhältnisse bis zum Zeugungsakt und dessen Einbettung in die natürlichen Verhältnisse dargestellt bekamen, sondern dass das Entstehen eines Menschenkindes ein geistig-physisches Wunder ist, weil die zusammenwirkenden Seelen von Vater, Mutter und Kind sich sogar schon vor der Empfängnis in einem schöpferischen Zusammenhang befinden.
Eine Stärke unserer Jugendlichen im Haus Tobias ist, dass sie diese Verhältnisse erfühlen und in sich aufnehmen können und für beide Bereiche, sowohl den Bereich des Geistigen wie den des Physischen echtes Verständnis aufbringen konnten.
Das Verdienst von Christian Breme aber war, dass er in echter erziehungskünstlerischer Art sowohl die biologische als auch die geistige Seite der Entstehung eines Kindes uns allen, die wir an diesen drei Tagen dabeisein durften, im wahrsten Sinne des Wortes wesentlich näher bringen konnte.
Zum Autor: Markus Kaukler ist Werkstufen- und Religionslehrer im Haus Tobias