Ein Blick auf meine letzte Englischstunde mit einer 8. Klasse: Wir hatten bis zur letzten Minute zu tun, um ein Schülerprojekt abzuschließen. So blieb mir an Stelle eines qualifizierten Rückblicks auf das gemeinsame Lernjahr nur die Frage: »Wie war’s?« Aus tiefem Herzen wurde mir entgegengebrummt: »Super, weil wir alles selber machen durften!«
Inhalt des Projekts war die Wiederholung der grammatischen Basics. Ich hatte dafür in der zweiten Hälfte des Schuljahres eine Lerninfrastruktur geschaffen, bei der jeweils zwei Schüler für ein grammatisches Phänomen verantwortlich waren. Die Aufgaben habe ich den Teams je nach Leistungsvermögen zugeteilt. Sie sollten den Mitschülern ihr grammatisches Thema erklären, dann mit ihnen mündlich im Kreis üben, ihnen fürs individuelle Arbeiten ein Übblatt aushändigen und schließlich einen Test entwerfen, der nach dem Schreiben auch von den »Fachleuten« korrigiert wurde. In meiner Rolle als Begleiterin konnte ich beim Erklären Fragen stellen oder nachbessern. Außerdem korrigierte ich Übblätter und Tests, bevor diese kopiert wurden. Pro Thema brauchten wir auf diese Weise eine Woche. So konnten wir uns ohne Anschlussschwierigkeiten durch das Kuddelmuddel einer 8. Klasse mit den Ausfällen von Fachunterricht wegen des Klassenspiels, der Projektarbeiten und einer längeren Abschlussfahrt manövrieren.
Wir alle stehen im Mittelpunkt
Das Lernen fand auf verschiedene Weise statt. Zuerst suchten die Zweiergruppen in einer kreativen Phase nach Möglichkeiten der Präsentation ihres grammatischen Kapitels. Sie hatten im Laufe ihres Schülerlebens ja schon manches davon bei ihren Lehrern oder bei früheren eigenen Präsentationen erlebt.
In dieser Phase mussten sie sich in ihre Mitschüler hineinversetzen und empathisch prüfen oder mit mir beraten, ob das, was sie vorhatten, bei möglichst vielen ihrer Klassenkameraden zum Lernerfolg führen würde. Beispiele – so altersgemäß wie sie von mir nie hätten sein können – waren oft durchs Internet angeregt worden.
Das »Learning by Teaching«, das jetzt folgte, hatten wir schon oft eingesetzt, wenn jemand durch Krankheit
etwas versäumt hatte oder einfach eine Nachhilfe auf Augenhöhe brauchte. Dazu stand ein Tisch mit zwei Stühlen vor unserem Englischraum. Jeder Lehrer weiß, wieviel engagierter die Schüler sind, wenn einer von ihnen in die Rolle des Unterrichtenden schlüpft. Das zu beobachten, ist nicht nur stressfrei, sondern »Balsam für die Lehrerseele«.
Wie die Klassenkameraden durch die beiden Verantwortlichen mitgenommen wurden, zeigte sich sowohl beim mündlichen als auch beim schriftlichen Üben und selbstverständlich auch im abschließenden Test. Die Protagonisten wurden durch gute Testergebnisse der Lerngruppe belohnt.
Lernen als ein höchst individueller Prozess findet im Schüler statt. Je nach Alter und je nachdem, wie die Reflexionsfähigkeit der Schüler altersgemäß gepflegt wurde, kann man ihr Bewusstsein vom Lernen auf neue Bahnen lenken – weg vom Ego-Bewusstsein hin zu einem System-Bewusstsein: »Wir als Klasse wollen sicher sein in den Grundlagen der englischen Grammatik« – ein Beitrag, ohne Stress zu unterrichten.
Zur Autorin: Brigitte Pietschmann war Englischlehrerin an der Freien Waldorfschule Schwäbisch Hall und langjährige Schulentwicklungs- und Konfliktberaterin in Waldorfschulen und -kindergärten. Moderatorin von Lehrer- und Elternfortbildungen.