Vor allem, wie verabschiedet man sich, wenn man sich eigentlich nicht richtig verabschieden kann? Wie trennt man sich von den Menschen, die einen acht Jahre lang durch die Schulzeit geleitet haben, die sich gesorgt haben, die man lieb gewonnen hat, wie verabschiedet man sich von seinen Klassenlehrerinnen und Klassenlehrern? Die Achtklässler schrieben ein »Abschiedsbuch« für ihre Lehrerin. Heraus kam ein Dank, der allen Klassenlehrern und allen Schülern gelten soll, die in dieser Zeit Abschied ohne Abschied nehmen mussten. Daraus die Geschichte »Sonnenblume«.
Ein kleines, zartes Pflänzchen bricht aus der dunklen Erde, hervorgelockt von der »Sonne liebes Licht«. Ein Mädchen tritt durch den Blumenbogen, lässt zurück das kleine Leben, gerufen von der Stimme der beeindruckenden Frau. Was hält sie in der Hand? Es ist eine Sonnenblume und ein Kieselstein. Sie setzt sich nieder, reiht sich ein, bei den Fremden, bei den Gleichaltrigen und lauscht gebannt.
Ein Vogel zwitschert, das erste Blättchen entfaltet sich. Das Pflänzchen soll eine Sonnenblume werden, das Mädchen eine Schülerin. Sowohl das Mädchen als auch die Sonnenblume gewöhnen sich allmählich an ihre neuen Herausforderungen.
Doch ein Sturm, ein Gewitter zieht über sie hin, schlimmer als alles, was sie je erlebt hat. Es ist, als würde die Zeit stehen bleiben, doch da ist die Sonne, die wärmt den kalten Tag, die Lehrerin ist da. Haben die anderen es mitbekommen? Die anderen Pflänzchen im Beet wachsen weiter und werden zu Pflanzen. Die Schüler lernen gut und schnell. Doch eine hat den Sturm erlebt und kann ihn nicht so schnell vergessen, muss sich erst neu orientieren. Doch zu spät erkennt sie die Auswirkungen. Aber die Lehrerin ist da, macht ihr keinen Druck, die anderen einzuholen. Das tut gut. Sie entfaltet sich, probiert aus, bildet neue Zweige und Blätter, erholt sich von dem schweren Sturm. Sie beginnt zu tanzen, auch wenn nicht alle das gut heißen. Auch hier ist sie da, die Sonne, die Lehrerin. Das Pflänzchen wird zur Pflanze, bildet eine Knospe, streckt sich und strebt zum Licht. Das Mädchen wird immer lernbegieriger, ob Geschichte, Mathe, Biologie, Malen oder Russisch, sie will alles verstehen. Allerdings bekommt unsere Pflanze nicht immer genug Licht. Da steht die große Tanne mit den spitzen Nadeln. Die Blätter unserer Pflanze werden immer und immer wieder gelb und traurig, doch die starke Sonne, die Mutter Erde und ihre lieben Schwestern geben ihr Kraft, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Dem Mädchen stehen die Familie, die Lehrerin und die Freunde bei. So kann es immer wieder neue Blättchen bilden. Unsere Pflanze reckt sich nach hier und dort, ein Pflänzchen neben ihr verblasst, ein anderes wird stark. Langsam entfaltet sich die Blüte. Das Mädchen wird stärker, Freunde gehen verloren, andere werden neu gewonnen. Sie sammelt Erfahrungen, lernt, ihre Stärken einzusetzen und ihre Schwächen nicht zu verbergen, sondern an ihnen zu arbeiten. So viel hat sie schon von ihrer Lehrerin gelernt und nicht nur Mathe, Deutsch, Russisch, sondern auch Dinge fürs Leben. So viele schöne Momente haben sie zusammen erlebt. Da waren zum Beispiel das erste Klassenspiel, die Klassenfahrten, die Ausflüge, das Forstpraktikum, Museumsbesuche, die Monatsfeiern, der Bau des Hochbeetes, der erste Tag nach den Sommerferien oder die Faschings- und Michaeli-Feste. Ein Tag, an den sie auch oft zurückdenkt, war die Führung durch unsere Stadt in der Heimatkundeepoche. Sie hat ihren Platz in der Welt gefunden.
Langsam entfaltet sich das letzte Blütenblatt, das Mädchen kommt in die achte Klasse. Die Sonnenblume steht in voller Pracht da, die schwachen Blätter abgefallen, die starken groß geworden. Nun steht sie da im Licht der Sonne. Das Mädchen betritt die Bühne in einem blau-weißen Kleid. Gleich wird sie tanzen vor dem großen Publikum, zum ersten Mal. Doch noch weiß kaum jemand davon. Die Lehrerin, die sie so viel gelehrt hat, so oft für sie da war, sitzt still gebannt da. Die Sonnenstrahlen spielen in der Luft, ein Vogel singt, ein Schmetterling fliegt. Sie sind begeistert von der Blüte, die sie trägt. Sowohl von der Sonnenblume, als auch von dem Mädchen. Wie klein doch damals alles angefangen hat ... Doch jetzt neigt die Sonne sich zum Horizont. Es wird Zeit, Abschied zu nehmen. Das junge Mädchen wird einen neuen Weg gehen. Die Blume wird ihre Samen fallen lassen und neu keimen, und das Mädchen die Ernte einsammeln. Die Zeit ist auch für die Sonne, die Lehrerin, gekommen, einen neuen Lauf über den klaren Himmel zu beginnen – mit derselben Kraft, Liebe, Wärme, Freude, wie sie uns in den acht Jahren begleitet hat.